Samstag, 29. September 2007

Hindustan Times 27.9.2007: Interview mit Priya Dutt

Hindustan Times, 27. September 2007

Priya Dutt: Mein Vater wurde im Stich gelassen, er war ein Einzelkämpfer

Priya Dutt, Tochter der legendären Bollywood-Stars Sunil und Nargis Dutt und Schwester von Sanjay Dutt, hat zusammen mit ihrer älteren Schwester Namrata ein Buch über ihre Eltern geschrieben. „Mr and Mrs Dutt: Memories of our Parents“ wird am Freitag durch Premierminister Manmohan Singh präsentiert werden im Rahmen einer Zeremonie, bei der auch Sonia Gandhi, Vorstand der regierenden Koalition, anwesend sein wird. Priya Dutt ist ebenfalls Parlamentsmitglied aus der Mumbaier Kongresspartei.

Ausschnitte aus einem Interview:

Hindustan Times: Was war das für ein Gefühl, den Lebensweg Ihrer Eltern nachzuvollziehen?

Priya: Das Ganze war ein heilsamer Prozess für uns. Wir haben so viel über unsere Eltern erfahren, und besonders über ihre Beziehung zueinander, die so schön war – mein Vater hat Tausende von Fotos, Briefen und kleinen Dingen aufgehoben, und es war wirklich nostalgisch, die alle durchzugehen. Es war ein schönes Gefühl. Und wir erhielten auch einen Einblick in das Leben unserer Eltern, über unsere Erinnerungen hinaus. Uns wurde bewusst, dass ihr ganzes Leben eine Liebesbeziehung zueinander war – auch nach Mutters Tod.

Hindustan Times: Wie sind Ihre Erinnerungen an ihn als Politiker?

Priya: Er hat sich selbst nie als Politiker betrachtet. Aber ich finde, er war der beste. Jener Padyatra (Friedensmarsch) mit ihm hat mein Leben völlig verändert. Das war überhaupt kein politischer Padyatra, er hat ihn aus rein persönlichen Gründen unternommen, und ich habe mich ihm aus rein persönlichen Gründen angeschlossen. Ich absolvierte gerade mein letztes Jahr am College, und es war eine tolle Gelegenheit für mich, das Land zu sehen und kennenzulernen. Ich empfand es als großartiges Abenteuer. Wir gingen in 78 Tagen eine Strecke von 2.800 Kilometern.

Wie gesagt, ich war 19 und in meinem letzten Collegejahr. Damals bestand meine Welt aus meinem College und meinen Freunden. Ich hatte keine Ahnung, was in der Welt oder auch nur außerhalb der Stadt vor sich ging. Diese Expedition öffnete mir die Augen und erweiterte meinen Horizont dafür, was Indien ist, wie vielfältig unser Land ist. Verschiedene Staaten zu durchwandern, Menschen kennenzulernen, zu sehen, wie unterschiedlich sie waren, ihr Kleidung, ihr Essen – es war ein staunenswertes Erlebnis für mich.

Wir gingen jeden Tag etwa 30 Kilometer. Dabei wurden wir immer wieder aufgehalten von Menschen, die meinen Dad kennenlernen wollten. Und das Lustige dabei war, dass diese Menschen nicht einmal wussten, wer er war. In diesen abgelegenen Gebieten gab es keine Kinos, sie hatten keine Ahnung – sie wussten nur, dass da ein Mensch für den Frieden marschierte. Und sie warteten draußen, um zu sehen, wer dieser Mann war. Das war eine Erfahrung, die mich wirklich bescheiden machte. Sie haben uns Wasser gebracht oder Feldfrüchte, alles Mögliche.

Ich denke, mein Vater hat den Menschen wirklich Gandhismus gebracht, lange bevor sein Sohn ihnen Gandhigiri brachte.

Hindustan Times: Während der Revolten, war er da wütend darüber, wie die Sache gehandhabt wurde?

Priya: Ja, er war wütend. Seiner Ansicht nach hätte etwas unternommen werden müssen, um die Raserei zu beenden. Viele Menschen behaupten, er sei pro-muslimisch und anti-hindu gewesen. Aber das ist nicht wahr. Er hat stets jedem geholfen.

Aber ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, die Minderheiten waren am meisten betroffen. Solche Ereignisse haben ihn so richtig erschüttert. Und umso größer war dann seine Entschlossenheit, etwas zu tun. So wie damals, als er die Punjab yatra unternahm... viele warnten ihn damals, aber er sagte, das sei ihm egal, und er tat es einfach. Aber so war er nun einmal.

Hindustan Times: Fühlte er sich von seiner Partei enttäuscht oder im Stich gelassen?

Priya: Ja, das geschah oft, wenn er das Gefühl hatte, dass seine Worte nicht die richtigen Stellen erreichten. Er war ein besonderer Mensch, anders als andere. Selbst in der Politik hatten die Menschen seines Volkes für ihn höchste Priorität.

Mein Vater war ein überzeugter und loyaler Kongressmann. Und er glaubte an die Ideale und die Philosophie der Kongresspartei. Ich würde nicht sagen, dass er jedes einzelne Parteimitglied auf seiner Seite hatte – das hatte er ganz bestimmt nicht. Und das wusste er. Aber das brachte ihn nicht von seinen Überzeugungen ab. Ich sage immer, in der Politik machst du dir mehr Feinde als Freunde, selbst wenn du der unumstrittenste Mensch überhaupt bist – irgendwie machst du dir trotzdem Feinde, wegen nichts. Aber solche Sachen haben meinen Vater nie gekümmert. Und er hätte nie daran gedacht, zu einer anderen Partei zu wechseln; solchen Ehrgeiz hatte er nicht.

Das alles hat ihn nie betroffen. Er war ein Einzelkämpfer. Er tat, was er tat, weil er daran glaubte – und er hatte erkannt, dass er aus vielen Richtungen keine Hilfe bekommen würde, aus welchen Gründen auch immer... Er war hundertprozentig ein Mann seines Volkes, und das war sein krönender Ruhm.

Hindustan Times: Wie war das, als Sanjay verhaftet und inhaftiert wurde? Hatte er damals ähnliche Gedanken?

Priya: Manchmal gab er sich selbst die Schuld für das, was Sanjay zugestoßen war. Er meinte, „vielleicht leidet Sanjay meinetwegen“ – ich weiß nicht, vielleicht wurde er nur wegen der Politik in all diese Dinge verstrickt.

Hindustan Times: Können Sie das etwas näher erläutern?

Priya: Ich denke, er hat dafür bezahlt, ein Dutt zu sein. Die Leute sagen viel, dass er eine Sonderbehandlung bekommen hätte oder so, aber diese Leute waren alle nicht dabei, als es geschah. Wie er behandelt wurde wie jeder andere Häftling auch. Mein Vater war damals Parlamentsmitglied, aber auch er wurde behandelt wie jeder andere. Er saß oft stundenlang außerhalb des Arrestbereichs. So hatten wir unseren Vater nie gesehen. Und meine Schwester und ich pflegten stundenlang vor dem Besuchsbereich zu warten.

Die Leute machen es sich so leicht, wenn sie sagen, er muss gut behandelt worden sein. Auch jetzt noch gibt es diese kleinen kleinen Dinge... das Medienaufkommen ist so riesig geworden, es gibt so viele Sender, und jeder will sein Pfund Fleisch. Ich denke, das sind wir inzwischen gewohnt (lacht).

Wenn du eine Berühmtheit bist, dann wollen alle alles über dich wissen. Es gibt Tausende, die im Gefängnis schmachten – so viele Menschen sind im Gefängnis, weil sie keine tausend Rupien für eine Kaution bezahlen können. Warum schreiben die Medien nichts über sie?

Und ganz ehrlich, ich finde, solange eine Sache noch rechtshängig ist, sollte auch die Medienberichterstattung darüber eingeschränkt werden.

Ich weiß nicht, inwieweit die Tatsache, dass Sanjay ein Dutt ist, gegen ihn gearbeitet hat, als der Terrorismus-Vorwurf aufkam – wie es geschah, wieviel Politik dahintersteckte. Aber ich denke, die größte Erleichterung war, als der Richter sagte, dass er kein Terrorist ist. Ich habe meinen Vater dreizehn Jahre lang leiden sehen. Das war wie eine Last, die er zu tragen hatte.

Hindustan Times: Es gibt ein berühmtes Foto, auf dem Sanjay Sie umarmt, bevor er ins Auto stieg und zum Gericht fuhr. Was sagte er in diesem Augenblick?

Priya: Nichts. Ich sagte: „Mach dir keine Sorgen, wir stehen dir bei.“

Hindustan Times: Erzählen Sie mir von Ihren Besuchen bei ihm im Gefängnis nach dem Urteilsspruch.

Priya: Es war schwer, aber er war sehr stark. Zuerst traf ich ihn im Arthur Road, wohin sie ihn direkt nach der Verurteilung gebracht hatten. Ich saß da und redete mit ihm. Aber der Moment, in dem wir alle wirklich zusammenbrachen, war, als er uns verließ und hineingeführt wurde und wir wussten, dass wir ihn nun nicht wiedersehen würden.

Dann traf ich ihn im Yerawada-Gefängnis, und das war wirklich eine Erfahrung. Er trug seine Gefängniskleidung. Es war ein sehr schwieriger Augenblick. Aber wir waren stark, wir wussten, dass wir das durchkämpfen mussten. Er war sehr stark. Und wir alle wussten, dass wir es aus eigener Kraft schaffen mussten, da unser Dad nicht mehr da ist. Er war immer unsere Zuflucht gewesen.

Hindustan Times: Wie war das mit Ihrem Termin bei Sonia Gandhi?

Priya: Ich bin nie zu Sonia Gandhi gegangen, um sie um etwas zu bitten. Das Ganze ist unnötig aufgebläht worden. Ich war nicht bei ihr, um Hilfe zu ersuchen. Ich wusste ja, dass wir den legalen Weg gehen mussten. Mrs Gandhi hat uns stets sehr unterstützt, meinen Vater und die Familie. Aber wissen Sie, das war schon lustig: Als ich zu ihr ging, waren die ganzen Medien da und haben berichtet, ich wäre eine halbe bzw. eine Dreiviertelstunde bei ihr gewesen und dies und jenes wäre dabei geschehen. Und ich dachte nur, wie zum Teufel wollen die wissen, was da drin geschehen ist? Da ist ein ganzer Raum voller Menschen, die zu ihr wollen und warten. Ich habe eine halbe Stunde gewartet, bis ich dran war, und dann hatte ich gerade mal fünf Minuten mit ihr. Und ich sagte zu ihr, „Ma’am, ich bin hier wegen Sanjay“ – natürlich habe ich sie kurz über die Ereignisse informiert – und ich sagte, dass ich deshalb diesmal nichts ins Parlament kommen könne. Aber ich habe sie nicht um Hilfe gebeten. Ich habe sie informiert, was meine Pflicht als Parlamentsmitglied war.

Hindustan Times: Sanjay hat sich über die Jahre verändert, nicht wahr?

Priya: Ich finde, seit dem Tod meines Vaters hat er sich in mehrfacher Hinsicht verändert. Er hat sich stärker unter Kontrolle. Er hat mehr Charakter denn je. Er ist ja schon seit langem viel ruhiger und nüchterner geworden. Jetzt ist er mehr zu einem Hausmann geworden, viel häuslicher, zielstrebiger, ein Mensch, der das Heft in die Hand genommen hat.

Hindustan Times: Hat er auch Angst?

Priya: Er hatte zuvor sicher Angst; es war eine sehr schwierige Zeit. Aber ich glaube, im Augenblick der Verurteilung verschwand die Angst. Dieses ganze Nicht-Bescheid-Wissen ist viel schlimmer. Wenn man erst einmal weiß, was Sache ist, kann man sich genaue Gedanken darüber machen, wie man mit der Situation umgeht. Und in diesem Punkt, finde ich, war er sehr stark.

Hindustan Times: Es geht zwar die Medien nichts an, aber freut er sich schon darauf, sein Leben neu aufzubauen, vielleicht irgendwann auch wieder zu heiraten?

Priya: Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht. Aber ich sehe ihn heute viel öfter zu Hause. Er liebt es, Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, er genießt das. Und er genießt seine Arbeit, er macht nicht mehr zu viele Filme. Andere Dinge sind wichtiger für ihn geworden... ich denke, das Leben ist kostbarer für ihn geworden.

Hindustan Times: Wissen Sie, ob er vorhat, zu heiraten?

Priya: Nicht dass er etwas in der Richtung erwähnt hätte (lacht). Ich weiß nichts über Hochzeit und so. Aber er ist glücklich, und das, finde ich, ist wichtig – solange er glücklich ist, ist das alles, was zählt.

Hindustan Times: Braucht er Abhängigkeit?

Priya: Ja, so war er schon immer. Er ist ein Mensch, der Anker braucht. Und unseligerweise passiert es oft, dass andere sich dadurch einen Vorteil für sich verschaffen. Er ist ein sehr offener Mensch, der gerne gibt, und ich hasse es zu sehen, wenn er verletzt wird.


Neelesh Misra; Deutsch von Diwali

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