Sonntag, 22. Februar 2009

Hathyar (1989)

Zur Story: Avinash (Sanjay Dutt) zieht mit seinen Eltern (Kulbhushan Kharbanda, Asha Parekh) nach Bombay, wo sie sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Die Bekanntschaft mit Samiulla Khan (Rishi Kapoor), dem jüngeren Bruder des Unterwelt-Dons Khushal Khan (Dharmendra), ist zwar insofern hilfreich, als Sami, der mit den Machenschaften seines Bruders nichts zu tun haben will, ein gewisses Ansehen genießt; doch eines Tages verzweifelt Avinashs Vater nach mehreren bitteren Erlebnissen an seiner insgesamt hoffnungslosen Situation und nimmt sich das Leben. Avinash, der auf seiner Suche nach Arbeit bislang überall zurückgewiesen wurde, sieht sich nun mit der Aufgabe konfrontiert, sich und seine Mutter zu versorgen. In seiner Not beginnt er, animiert von falschen Freunden, zu stehlen – und nachdem er eines Abends im Affekt eines seiner Opfer getötet hat, gerät er immer mehr in den Sumpf der Kriminalität – und in die Mühlen der rivalisierenden Gangsterbosse Khushal Khan und Raghan Anna (Paresh Rawal)...

Hathyar (= Waffen) dürfte einer der unterschätztesten Filme der Hindi-Filmindustrie überhaupt sein. Sanjay Dutt trug er seinerzeit zwar immerhin anerkennende Kritiken für seine Leistung ein, der Film selber lief jedoch nicht gut und ist heutzutage nicht einmal mehr auf VCD aufzutreiben (dass ich ihn jetzt dennoch endlich sehen durfte, verdanke ich einer VHS-Kopie von Liakot Ali, dem ich an dieser Stelle noch einmal herzlich danke). Wenn Hathyar wenigstens ein miserabler Film wäre, dann könnte ich das ja noch halbwegs verstehen – Fakt ist jedoch: Der Film ist gut. Er ist sogar sehr gut. Intensiv, ohne Durchhänger und mit ein paar Botschaften, die es wert sind, immer und immer wieder gehört zu werden.

Zum einen ist da die zwar eher nebensächlich eingesetzte, aber dennoch eindringliche Warnung vor Waffen und Kriegsgerät als Kinderspielzeug, die in Zeiten gewaltverherrlichender Computerspiele nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. Zu sehen, wie fasziniert Kinder zu den Spielzeugpistolen greifen und damit herumballern (und am Beispiel von Avinash zu sehen, wie damit der Grundstein für eine lebenslange Leidenschaft für Schusswaffen gelegt werden kann), ist ebenso beklemmend wie das Schaukelpferdbild, mit dem Regisseur JP Dutta seinen Film einrahmt. Zum anderen schildert Dutta am Beispiel von Avinash anschaulich, wie ein junger Mann sich in seiner bitteren Armut, als alle Versuche, einen Job zu finden, nichts genutzt haben (er hat keine Qualifikationen, und Schmiergeldzahlung kann er sich nicht leisten), irgendwann nicht mehr anders zu helfen weiß als mit Stehlen – und wie er danach Schritt für Schritt in die Kriminalität abrutscht. Und in Sanjay Dutt, der damals nach Überwindung seiner Drogensucht und dem Riesenerfolg mit Naam in Bestform war, hatte er den idealen Darsteller für diese Rolle gefunden.

Sanjay selbst zählt Hathyar bis heute zu seinen Lieblingsfilmen und erachtet seine Darstellung des Avi als eine seiner besten Leistungen. Damit stellt er diesen Film auf eine Stufe mit Werken wie Naam, Saajan, Sadak, Khalnayak, Vaastav und Munnabhai. Und mit Recht. Hatte er schon in Naam durch die Intensität seiner Darstellung beeindruckt, so setzte er jetzt in Hathyar noch einen drauf. Obwohl man das Brodeln, die innere Unruhe in ihm geradezu spürt (und in seinen Augen flackern sieht), wirkt er nach außen ruhig und kontrolliert und gestaltet so souverän und selbstsicher ein starkes, intensives Rollenporträt. JP Dutta fing diese Intensität in starken Bildern ein, setzte immer wieder Zooms ein, um Sanjays emotionsvolle Blicke ins Zentrum der Leinwand zu rücken. Trotz der beachtlichen Co-Star-Riege ist Sanjay unbestritten Herz und Seele des Filmes, verkörpert den jungen Mann, den Not, falsche Gesellschaft und falsche Entscheidungen ins Verderben treiben, mit einer Unbedingtheit, die der eines Naam-Vicky oder eines Vaastav-Raghu in nichts nachsteht. In meinen Augen hätte er spätestens dafür den ersten Award seiner Karriere verdient gehabt.

Sanjay gehören auch die definitiv besten Szenen des Filmes: Sein innerer Gewissenskampf, nachdem er einem Taschendieb eine gestohlene Geldbörse abgejagt hat (er weiß, dass er sie zurückgeben sollte, aber andererseits könnte er dieses Geld dringend brauchen)... Die Szene, in der er sich von seiner Gang zu seinem ersten Diebstahl animieren lässt... Die Szene, in der ihm bewusst wird, dass seine Mutter das Essen für ihn erbetteln muss, weil er als Brotverdiener für die Familie gescheitert ist... Die darauffolgende Szene, in der er mit dem Aufschrei "ich bin am Verhungern" einen Mann tötet, der seinen Vater beleidigt hat... Und schließlich die Szene, in der er frustriert und verzweifelt ein Regal mit Kriegsspielzeug kurz und klein schießt und dabei ein kleiner Globus vor seine Füße kullert, den er mit einem beinahe kindlich-glücklichen Lächeln in seinen blutverschmierten Händen dreht, bis die ganze Weltkugel blutig ist. (Dass er diesen kleinen Globus danach als Wurfgeschoss bei einer Schießerei verwendet und die Weltkugel dabei in tausend Stücke geschossen wird, ist ein weiteres von vielen beklemmenden Bildern, die JP Dutta für diesen Film gefunden hat.)

Allein schon rollenbedingt haben Sanjays Co-Stars neben ihm einen schweren Stand. Am besten gelingt das Dharmendra als Khan Bhai, der bereits in Mardon Wali Baat eine tolle Chemie mit Sanjay hatte und auch diesmal ein paar starke Szenen mit ihm hinlegt – und natürlich auch mit Rishi Kapoor, der Khans zwischen Liebe und Ablehnung hin- und hergerissenen Bruder spielt und das Beste aus dieser eher undankbaren Gutmenschenrolle macht. Luxuriös besetzt ist Avinashs Elternpaar mit Kulbhushan Kharbhanda und Asha Parekh; besonders Ashas Mutter-Sohn-Szenen mit Sanjay berühren zutiefst. Paresh Rawal als Gangsterboss schrammt haarscharf an einem Comic Relief vorbei – ein paar Mal weniger sein ewiger "Very clever"-Kommentar, und die Figur wäre ein wirklich gutes Gegenstück zu Dharmendras Bhai geworden. Zum Glück zieht Paresh dennoch meistens rechtzeitig die Handbremse und hält sein Störungspotential im Zaum.

Und so kommt JP Duttas Hathyar letztlich dankenswerterweise ohne Comic Reliefs aus. Am ehesten übernimmt diesen Part die völlig unnötige Gesangs- und Tanznummer von Rishi und seiner Partnerin Sangeeta Bijlani (Jenny); Sangeetas Rüschenklamotten tun ihr Übriges. Offenbar hat Dutta es nicht gewagt, einen Film ganz ohne Gesang und Tanz zu machen, obwohl das bestimmt die bessere Lösung gewesen wäre. Wenigstens beschränkte er sich dabei auf ein Minimum – neben besagter neckischer Einlage von Rishi und Sangeeta gibt es noch eine Nachtclub-Tanzszene sowie zwei hübsche Tanznummern von Amrita Singh als Avinashs Freundin Suman, die jedoch darüber hinaus ähnlich wenig zu tun hat wie Sangeeta.

Wie gesagt, wie dieser Film in der Versenkung verschwinden konnte, ist mir unbegreiflich, und ich appelliere dringend an sämtliche Vertriebsfirmen dieser Welt, diesen Hathyar in ihr DVD-Programm aufzunehmen. Nicht nur Dharmendra-, Rishi-, Amrita- und natürlich Sanjay-Fans würden es ihnen danken, sondern jeder, der ein Faible für gut gemachte, intensive Action-Filme hat. Man stelle sich eine Mischung aus Naam und Vaastav vor, dann kriegt man in etwa eine Vorstellung von der Atmosphäre dieses Filmes, der definitiv in die Top Ten von Sanjays Filmschaffen gehört.

Produktion: F.A. Nadiadwala; Regie: J.P. Dutta
173 Min.; VHS-Kopie, ohne UT (Special thanks to Liakot Ali from London)

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