Sonntag, 29. April 2012

Agneepath (2012)



Zur Story: Um die Bewohner der Insel Mandwa in der Abhängigkeit seiner Familie zu halten, stellt der skrupellose Kancha (Sanjay Dutt) den Bau einer Salzfabrik in Aussicht, für die die Menschen ihm auf lange Sicht ihr Land verpachten sollen. Als der Schullehrer Dinanath Chauhan (Chetan Pandit) den Bewohnern Mandwas von diesem Schritt abrät, schiebt Kancha ihm ein scheußliches Verbrechen in die Schuhe und hängt ihn in einem Akt der öffentlichen Lynchjustiz persönlich auf. Nun kann er sein eigentliches Ziel verwirklichen – Mandwa zu einem Zentrum der Kokainproduktion zu machen und damit Mumbai zu beherrschen. Doch dort regiert bereits ein anderer: der Drogenschmuggler und Mädchenhändler Rauf Lala (Rishi Kapoor), der Kanchas Aufstieg in den darauffolgenden fünfzehn Jahre erfolgreich im Wege steht – nicht zuletzt dank seiner rechten Hand: Vijay Chauhan (Hrithik Roshan), der sich schon als Kind hinter Rauf Lala geklemmt hat, um mit dessen Macht eines Tages Rache an Kancha zu nehmen für den Lynchmord an seinem Vater – eine Rache, für die Vijay nun allerdings selber gnadenlos über Leichen geht...


Der Agneepath-Film von Mukul S Anand aus dem Jahr 1990 genießt in Indien Kultstatus, ebenso wie die Darstellung des Vijay, für die Amitabh Bachchan seinerzeit einen National Award erhielt. Entsprechend groß war die Skepsis, als bekannt wurde, Karan Johar, der Sohn des damaligen Agneepath-Produzenten Yash Johar, plane ein Remake dieses Filmes; allein schon aufgrund der Vergleiche mit dem Original, die alle Welt unweigerlich ziehen würde, gab diesem neuen Agneepath von Anfang an kaum jemand eine reelle Chance.

Doch für Karan Johar war dieser Film eine Herzensangelegenheit, da sein Vater Agneepath stets als einen seiner Lieblingsfilme betrachtet und es nie verwunden hatte, dass der Film damals an den Kassen gefloppt war. Mit der neuen Deutung der alten Story wollte Karan dem Namen Agneepath nachträglich einen Hit-Status geben. Vergleiche mit dem Original wehrte Karan von Anfang an ab: Der neue Agneepath werde kein Remake, sondern ein Tribut an das Original; nur die Kernstory werde übernommen, jedoch völlig neu erzählt. In einem Vorwort in den Credits fasste Karan seine Motivation zusammen: "Agneepath (1990) was an extremely special film to my father. Amit Uncle's (Amitabh Bachchan) absolute brilliance and Mukul S Anand's vision made it a pillar film for us at Dharma Productions. Revisiting, restructuring and adapting Agneepath is our humble way of paying homage to a film that has required a cult status over the years."

Selber umsetzen wollte Karan Johar das Rachedrama allerdings keinesfalls; die einzige Gewaltszene, die er jemals inszeniert habe, sei Amitabhs Ohrfeige an Hrithik in K3G gewesen, scherzte er bei einer Pressekonferenz. Daher überließ er den Regiesessel dem Mann, der die Idee für die Neuerzählung Agneepaths gehabt und ausgearbeitet hatte: dem Regie-Newcomer Karan Malhotra. Und der erwies sich als absoluter Glücksgriff für das Projekt Agneepath. Er ließ es klug genug gar nicht erst auf Vergleiche ankommen, indem er Vijay und Kancha völlig anders anlegte als die Figuren, die Amitabh Bachchan und Danny Denzongpa gespielt hatten, und die dritte Kultfigur des Originals, Mithun Chakrabortys Krishnan Iyer MA, komplett strich und stattdessen den (im doppelten Sinne des Wortes) Fleischhändler Rauf Lala erfand. Somit erwartete das Publikum eine Story, an der nur noch das Grundmotiv der Auseinandersetzung Vijay-Kancha an das Original erinnerte und die Malhotra in farbenprächtigen und (erneut im doppelten Sinne des Wortes) gewaltigen Bildern in Szene setzte.

Die Erwartungen waren hoch, nicht zuletzt dank der Promos, die zum Teil einen wahren Hype auslösten; vor allem Sanjay Dutts kahlköpfiger Look als Kancha und Katrina Kaifs temperamentvolle Item-Nummer "Chikni Chameli" hatten bereits im Vorfeld hohe Wellen geschlagen. Dennoch dürfte selbst Karan Johar mit den Ohren geschlackert haben, als Agneepath am 26. Januar 2012 (Republic Day) den Startrekord von Bodyguard brach, auch international große Erfolge erzielte und schließlich in Indien mit über Rs 125 crore zum Superhit und zu einem der erfolgreichsten Hndi-Filme überhaupt avancierte.

Das ist zum Teil sicherlich den Stars zuzuschreiben, die samt und sonders hervorragende Leistungen abgeliefert haben; zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch dem Plot und der Umsetzung. Malhotra siedelte seinen Agneepath-Film 1977 (Vorgeschichte) bzw. 1992 (Hauptteil) an und bediente mit dem Rückgriff auf die erdverbundenen Masala- und Action-Filme jener Zeit die Sehnsüchte der Film-Traditionalisten, die sich mit dem seit Jahren anhaltenden Trend zu glattpoliert-kühlen, am Westen orientierten Filmen mit immer perfekter werdendem Computereinsatz nicht anfreunden können. "Endlich mal wieder Action ohne Special Effects!" war denn auch der häufigste Tenor bei den Kommentaren auf Twitter, und das umschreibt am besten, was das Agneepath-Publikum (das sicher auch größtenteils das Publikum von Erfolgen wie Singham und Dabangg stellt) will: indische Filme mit Helden und Schurken, unverstellten Emotionen und gerne auch roher Gewalt wie früher – und nicht das zuletzt überstrapazierte "on par with Hollywood".

Es passt in dieses Bild, dass ausgerechnet zwei Veteranen des Hindi-Kinos diesen Agneepath-Film dominieren: Sanjay Dutt und Rishi Kapoor. Besonders Rishi überraschte mit der ersten reellen Schurkenrolle seiner Karriere, für die er sogar auf einem Look-Test bestanden hatte, da er sich selber nicht sicher war, ob er einen solchen Mistkerl wie Rauf Lala glaubwürdig würde rüberbringen können. Doch diese Bedenken erwiesen sich als grundlos; Rishi lieferte eine rundum überzeugende Darbietung ab, und es würde mich nicht überraschen, wenn er und nicht Sanjay im nächsten Jahr sämtliche Best Villain Awards abräumen würde. Verdient wären sie allemal.

Verstecken braucht sich Sanjay hinter Rishi jedoch keineswegs. Auch er beschritt mit Kancha für ihn neue Wege, denn bei allen Gangstern, Khalnayaks und Raghubhais in seiner Sammlung – einen derart durchgeknallten, unberechenbaren und durch und durch unmenschlichen Schurken hatte er bis dahin noch niemals gespielt. Er verschrieb sich dieser Rolle mit Haut und Haaren – respektive ohne Haare, denn als die zuerst geplante Plastikglatze in der Hitze von Diu unerträglich wurde und zu schmelzen begann, ließ sich Sanjay kurzerhand den Kopf kahlscheren. Mit diesem Look (der ihm Attribute wie "Voldemort" und "The Dark Lord of Bollywood" einbrachte), den schwarzen Kurtas, seinen meist gut sichtbaren Tattoos und muskelbepackt wie schon lange nicht mehr gestaltete Sanjay einen Filmschurken, den man gut und gerne in eine Reihe mit Gabbar Singh und Mogambo stellen kann; einen Wahninnigen, der seine eigene Version des Bhagvad Gita lebt und der Menschen gnadenlos für seine Zwecke benutzt und unterdrückt. Vor allem Kanchas teuflisches Grinsen und seine kompromisslose Brutalität gehen unter Haut – sogar Sanjay selbst, der offen zugab, während des Dubbings eine Pause gebraucht zu haben, da er sich selbst auf der Leinwand nicht mehr ertragen konnte und sich ernsthaft fragte, ob dieses furchtbare Monster tatsächlich er war.

Hrithik Roshan kann mit seiner Darbietung seinen beiden überragenden Kollegen nicht ganz das Wasser reichen, aber in jedem Fall gelang es ihm, seinen eigenen Vijay zu formen, ohne irgendwelche Anlehnungen an die von Amitabh gespielte Figur, und das war gut so. Karan Malhotra hat sein Kontrahenten-Paar Vijay-Kancha nach der Konstellation David-Goliath geformt, nach dem Motto: je übermenschlicher der Schurke, und je chancenloser der Held vor ihm wirkt, desto höher ist am Ende der Sieg des Helden zu bewerten, wenn er über sich hinauswächst und den Schurken bezwingt. Dabei ist Vijay keineswegs ein Unschuldsengel; schon als Junge (toll gespielt von Arish Bhiwandiwala) geht er keinem Streit aus dem Weg, und später tötet er in seinem Streben nach Macht und Rache seine Gegner ebenso gnadenlos wie einst Kancha seinen Vater, so dass von einer moralischen Überlegenheit Vijays eigentlich keine Rede mehr sein kann. Das einzige, was Vijay noch von Kancha unterscheidet, ist, dass Vijay sich noch einen Rest Menschlichkeit bewahrt hat – und gerade diese Stellen arbeitet Hrithik sehr bewegend heraus. Aber auch seine Action-Szenen haben es in sich – besonders der ausgedehnte blutige Showdown gegen Sanjay, in dem die beiden sich nichts schenken und vor allem Sanjay Hrithik alles abverlangt.

Agneepath gehört ganz und gar Sanjay und Rishi und (mit ein klein wenig Abstand) Hrithik. Priyanka Chopra als Vijays Jugendfreundin Kaali sorgt mit ihrer übersprudelnden Lebensfreude für Momente des erholenden Wohlfühlens zwischen all den düsteren Gang-Kriegen und Rache-Aktionen, allerdings ist ihre Liebesgeschichte mit Hrithik nicht mehr eine Beigabe zum Hauptplot. (Schade auch, dass die wunderschöne Szene mit ihr und Hrithik zu dem Song "Oh Saiyyan" wegen Copyright-Streitigkeiten aus dem Film herausgeschnitten werden musste.) Eine sehr angenehme Überraschung ist die junge, von der Schulbank weg gecastete Kanika Tiwari als Vijays Schwester Shiksha. Zarina Wahab und Chetan Pandit als Vijays Eltern spielen solide, ebenso wie Om Puri als Inspektor Gaitonde. Auch der Rest des Casts verzeichnet keine Ausfälle; eine spezielle Erwähnung verdient Rajeysh Tondon als Rauf Lalas rebellischer Sohn Mazhar.

Fazit: Das Wagnis Agneepath hat sich gelohnt. Für Karan Malhotra, der ein Traumdebüt als Regisseur hinlegte. Für Sanjay Dutt, der zum ersten Mal seit Jahren wieder einen uneingeschränkten Filmerfolg feiern konnte und dessen Marktwert seitdem wieder ganz klar gestiegen ist. Und für Karan Johar, der seinem verstorbenen Vater einen Superhit-Agneepath schenken und zudem auch noch eine ordentliche Gewinnsumme einstreichen konnte. Dafür hat es sich doch auch gelohnt, das Logo von Dharma Productions zu ändern – vor dem ersten Trailer war es noch mit dem altvertrauten Motiv aus KKHH unterlegt gewesen, aber angesichts dessen, was dann folgte, hatte Karan schon bei der Präsentation festgestellt, dass das hier wohl nicht ganz passte. So ersetzte er es durch die aufwühlenden Klänge des Agneepath-Songs "Deva Shree Ganesha". Eine von vielen richtigen Entscheidungen bei diesem sehenswerten Erfolgsfilm.

Das Schlusswort sei ausnahmsweise Sanjay Dutt selbst gegönnt, der am Ende des Release-Tages bekannte: "Ich bin überwältigt von den Reaktionen auf Agneepath. Ich habe einige beliebte kleine Kinos besucht und war völlig perplex über die Reaktionen des Publikums! Ich war sprachlos, als sie bei meiner Auftrittsszene anfingen zu pfeifen und zu klatschen. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ich war einfach nur überglücklich! Und ich hätte auch niemals solche Einnahmen am ersten Tag erwartet. Die Menschen haben mir Komplimente über meine Bandbreite als Schauspieler gemacht – dass ich mit Leichtigkeit sowohl den liebenswerten Munnabhai als auch den grausigen Kancha spielen kann. Es ist ein sehr schönes Gefühl, so gelobt zu werden. Wenn du hart arbeitest und dann eine so fantastische Anerkennung sowohl von deinen Fans als auch von deinen Freunden bekommst, dann fühlst du, dass du wirklich etwas erreicht hast."

Produktion: Hiroo Yash Johar, Karan Johar; Regie: Karan Malhotra

174 Min.; DVD: Eros, englische UT (inkl. Songs); Bonus-DVD: Film Making, Song Making, Deleted Scenes, Deleted Song

Offizielle Website
Making of Agneepath - Kancha's Character
Deadly Sanjay Dutt rocks - Gratulationen an "Kancha"
Hindi Cinema Blog: LOVING SANJAY DUTT = LOVING KANCHA? (by Diwali)

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