Atlanta, während der Wanted Tour 2000
Sanjay Dutt: "I have gone through a lot in life"
Er ist einer der umstrittensten Stars Bollywoods. Er hat in der Tat eine Menge durchgemacht: von Anschuldigungen, in terroristische Aktivitäten verwickelt zu sein, bis zum Drogenmissbrauch – aber er hat es geschafft, über alles zu triumphieren und seine Fans auch weiterhin zu erfreuen. Es folgt ein Exklusiv-Interview mit Sanjay Dutt.
„Er ist exzentrisch, unberechenbar und launenhaft. Es ist schwer, ihn für ein Interview festzunageln.“ „Er ist ein Gottesgeschenk an die Frauen – schau dir diesen Körper an!“ „Er hat einen Fotografen in Wembley zusammengeschlagen, weil der Typ sich Sushmita gegenüber danebenbenommen hat...“ Ich betrete die Ambassador Suite im Renaissance Hotel in Atlanta für ein Interview mit Sanjay Dutt, all dieses im Kopf. Stattdessen jedoch sehe ich vor mir einen Mann mit den freundlichsten und sanftesten Augen, einem charmant kindlichen Lächeln und einer Einfachheit und Bescheidenheit, die berühren. Und er bringt mich nochmal zum Lächeln, als er seine Frau Rhea anruft und wie ein typischer Ehemann debattiert: „Kahan ho tum? (Wo bist du?)“ Sie ist unterwegs, besorgt eine Hose, die er für die Show braucht. „Was meinst du damit, ich kann das Interview nicht ohne dich anfangen? Ich werde sagen, wonach mir zumute ist...“ – und das tut er!
Sollten Sanjay Dutt jemals die Drehbücher ausgehen, kann er jederzeit einen Film über sich selber produzieren und darin als Regisseur und Schauspieler fungieren. Sein Leben hat genügend Achterbahnkurven und -wendungen genommen, sowohl vor als auch jenseits der Leinwand. Von dem jungen, schlaksigen Anfänger in Rocky, der sich erst mal an die Schauspielerei herantasten musste, bis zu dem stupenden Schauspieler in Vaastav. Sein für jedermann sichtbarer Kampf gegen die Drogen, der Krebstod seiner Mutter und seiner ersten Frau, und die Versuche seiner Ex-Schwiegerfamilie, ihn als einen Schurken hinzustellen, der ihr Kind im Stich ließ und keine finanzielle Unterstützung leistete. Er bewahrte würdevolles Schweigen, bis alles zu viel wurde. (Er hat noch immer nicht das volle Sorgerecht für Trishala, seine Tochter aus erster Ehe, obwohl die Lage sich sehr gebessert hat mit unbegrenzten Besuchsrechten und hoffentlich einer Entscheidung zu seinen Gunsten in naher Zukunft.) Er hat alles ertragen; eine lange Gefängnishaft und den Absturz seiner Karriere, als Regisseure die Fronten wechselten.
Dann kamen das Model Rhea, seine schöne Frau, die durch alle Turbulenzen hindurch zu ihm stand, und ein unbekannter junger Regisseur namens Mahesh Manjrekar, der ihm Vaastav gab. Endlich, nach langer Zeit, hat Sanjay Dutt sein Leben und seinen Geistesfrieden wieder. Aus dem Jungen mit den weichen Zügen ist ein Mann geworden, mit Konturen im Gesicht, die ihm Charakter verleihen. Er hat die Nacht zuvor kaum geschlafen und unterhält sich mit mir dennoch weit über die verabredeten 30 Minuten hinaus.
Kavita: Lassen Sie mich Ihnen zuerst zu Ihrer Leistung in Vaastav gratulieren. Die Schlussszene allein anzuschauen war schon traumatisch (Anm. Diwali: Kavita verrät hier den Inhalt dieser Szene, ich lasse das aus Spoilergründen weg). Ich habe gehört, sie wurde in einer einzigen Einstellung gedreht. Wie haben Sie das geschafft?
Sanjay: Diese Szene hatte uns während der ganzen Dreharbeiten schon nervös gemacht. Sie war schwierig, und wir überlegten hin und her, wie wir sie angehen sollten. Hätten wir sie weggelassen, dann hätten das Niveau und die Intensität der Darbietung definitiv gelitten. Hätten wir sie in mehrere Takes zerlegt – eine Szene drehen, ausruhen, die nächste Szene drehen und so weiter –, dann wäre es schwierig geworden, den hohen Grad emotionaler Intensität konstant aufrecht zu erhalten. Schließlich sagte ich zu Mahesh Manjrekar (dem Regisseur), dass ich die ganze Szene auf einmal spielen müsse. Also platzierte Mahesh sieben Kameras am Set, die Szene im Haus wurde in einem Rutsch gedreht, und die Szene draußen wurde in einem Rutsch gedreht. Sie haben Recht, was diese Szene betrifft – sie hat mich wirklich gekillt, und ich war noch auf Tage emotional völlig ausgelaugt.
Kavita: Sie haben nie zur Unterwelt gehört. Wie bereiten Sie sich auf solche Szenen vor?
Sanjay: Ich mag nie zur Unterwelt gehört haben, aber ich habe viel durchgemacht in meinem Leben – viel mehr als jeder Durchschnittsmensch. Schmerz gibt es überall, und ich habe mehr als meinen Anteil davon durchlitten. Natürlich hat Mahesh eine Menge szenische Vorgaben geliefert, und außerdem habe ich während meiner Zeit im Gefängnis Menschen wie meine Filmfigur kennengelernt und ihre Züge mit eingebracht.
Kavita: Werden Sie nun jungen und aufstrebenden Regisseuren zur Verfügung stehen, oder wollen Sie sich an die großen Banner halten? Soviel ich weiß, hatte Mahesh allein Sie vor Augen, als er die Vaastav-Rolle schrieb, und lange vergebens versucht, Sie dazu zu bringen, sich das Skript anzuhören. Offenbar hatte er erst Glück, als Jackie Shroff ihn mit Ihnen bekannt machte.
Sanjay: Ja, das ist korrekt. Sehen Sie, jetzt nach Vaastav und der Anerkennung, die mir der Film gebracht hat, hoffe ich, dass ich immer zugänglich für Regisseure bleiben werde, die Talent und ein gutes Drehbuch haben, auch wenn sie nicht gut bekannt sind. Vaastav hatte ein brillantes Drehbuch, und ich war sehr überzeugt von meiner Rolle. Meine Karriere war 1998 auf ihrem absoluten Tiefpunkt, aber damals wurde mir klar, dass ich niemals den großen Namen hinterherlaufen würde können, das ist einfach nicht meine Art. Daher wandte ich mich an junge, begabte Regisseure, und ich bin sehr glücklich darüber, wie sich das Ganze jetzt entwickelt hat. Ich habe die unterschiedlichsten Rollen für sie gespielt – Kartoos, Vaastav, Khoobsurat, Haseena Maan Jaayegi – alle waren anders.
Kavita: Haseena Maan Jaayegi war ein Projekt von David Dhawan und Govinda, und jedermann weiß um die ganz spezielle Chemie zwischen den beiden. Manche Schauspieler fühlen sich da unsicher bei dem Gedanken, dass Govinda bei David immer Priorität genießt.
Sanjay: Erstens mal bin ich kein unsicherer Schauspieler. Offen gesagt, wenn ich in einem Film spiele, dann schaue ich auf den Film als Ganzes und nicht so sehr darauf, wie meine Rolle wird. Wenn der Film gut zusammenwächst, ist das zum Besten von allen. Solche Bagatellen wie „ist meine Rolle kleiner? ist sein Text besser?“ sind mir wirklich gleichgültig. Govinda und David Dhawan haben wirklich alles getan, damit ich mich wie zu Hause fühle – es gab keinerlei Unterwanderungen und dafür jede Menge gegenseitiges Vertrauen.
Kavita: Was finden Sie schwieriger, Komödien oder emotionale Rollen?
Sanjay: Am schwierigsten finde ich das Tanzen, auch wenn ich mich heutzutage dabei sehr viel wohler fühle. Aber ansonsten ist Komödie schwieriger – Menschen zum Weinen zu bringen ist viel einfacher.
Kavita: Gibt es eine Filmrolle, für die Sie Ihren rechten Arm hergeben würden?
Sanjay: Ja. Al Pacinos Rolle in Scarface.
Kavita: Warum produzieren Sie dann nicht einen Film mit einer Rolle Ihrer Wahl? Soviel ich weiß, haben Sie zusammen mit Freunden eine Produktionsfirma namens White Feather Films gestartet?
Sanjay: Ich werde nie ein Produzent werden – die Armen verlieren doch dauernd nur Geld. Wenn, dann würde ich mich irgendwann in ferner Zukunft sehr gerne einmal mit dem Regieführen befassen. Die Produktionsfirma, die Sie meinen, gehört Freunden. Ich bin nur insofern daran beteiligt, dass ich sie unterstütze. Ich habe kein Geld darin investiert.
Kavita: Wie haben Sie sich als Schauspieler entwickelt? Und man sollte Ihnen ja auch bescheinigen, dass Sie die physische Fitness in der Industrie eingeführt haben.
Sanjay: Ja, es war so, dass man mir vor vielen Jahren angeboten hatte, in einem Film namens Jungle zu spielen, in dem ich die ganze Zeit über nur spärlich bekleidet gewesen wäre. Ich war immer sehr dünn, deshalb begann ich zu trainieren. Der Body entstand – der Film nicht. Sylvester Stallone und Arnold Schwarzenegger hatten großen Einfluss auf mein Leben. Was den Schauspieler betrifft, natürlich helfen dir die Erfahrungen in deinem Leben, auf verschiedene Art zu wachsen. Ich denke, ich habe in den vergangenen paar Jahren eine Reihe verschiedener Filme gemacht, in denen meine Rollen sich sehr voneinander unterschieden haben, aber offenbar brauchte es einen Vaastav, damit die Leute wirklich mal aufmerken und Notiz nehmen.
Kavita: Folgen Sie als Schauspieler ganz Ihrem Regisseur? Bereiten Sie sich detailliert auf eine Rolle vor, oder sind Sie spontan?
Sanjay: Ich habe es schon in der Schule nie geschafft, Hausaufgaben zu machen. Daher bereite ich mich auch nicht wirklich auf eine Rolle vor. Ich schwimme einfach mit dem Strom. Ich bin ein Regisseur-Schauspieler in dem Sinne, dass ich für Vorschläge offen und leicht zu formen bin. Natürlich sage ich meine Meinung, wenn ich mal anderer Ansicht bin. Aber am Ende hat natürlich der Regisseur das letzte Wort. Die Filmindustrie ist ein hartes Geschäft, und du fängst wirklich mit jeder Rolle wieder von vorne an. Ich bin also immer noch am Lernen.
Kavita: Haben Sie in Ihrer Jugend die Filme Ihrer Eltern gesehen?
Sanjay: Ständig, aber meine Lieblingsschauspieler waren Sharmila Tagore, Amitabh Bachchan und Rajesh Khanna. Aber natürlich war Mom eine großartige Schauspielerin. Ihre Leistung in Mother India ist unübertroffen.
Kavita: Was halten Sie von den neuen Star-Söhnen in der Industrie – Hrithik Roshan, Abhishek Bachchan? Sie scheinen ein intensives Training absolviert zu haben auf so vielen verschiedenen Gebieten wie Schauspiel, Fitness...
Sanjay: Sie sind beide sehr gut, aber natürlich müssen sie noch wachsen und lernen. Ich hatte mir auch einige Grundkenntnisse erworben, bevor ich in Rocky spielte, aber nicht so intensiv wie das, was die Jungen heute lernen.
Kavita: Sie hatten viele Jahre lang mit einem Drogenproblem zu kämpfen. Da Filmschauspieler in gewissem Maße Vorbilder werden, haben Sie diesbezüglich etwas unternommen in Indien, wo Drogen scheinbar immer mehr auf dem Vormarsch sind?
Sanjay (seufzt bitter): In Indien kannst du überhaupt nichts tun. Die „chalta hai“-Einstellung der Menschen ist zu groß. Es ist eine schlechte Szenerie da draußen. Ich habe versucht, etwas zu tun, aber es kamen keine Reaktionen. Die Menschen haben andere Dinge im Kopf. AIDS ist eine gewaltige Epidemie in Indien, aber die Menschen bleiben schlecht informiert, und niemanden kümmert das wirklich. Das ist das Traurigste daran. In Amerika wird so viel getan.
Kavita: Bereuen Sie irgendetwas in Ihrem Leben?
Sanjay: Dass ich mein Studium nicht abgeschlossen habe. Ich wünschte, ich wäre hier aufs College gegangen. Amerika ist ein großartiges Land. Da lässt man dich wirklich dein Leben leben.
Kavita: Wie haben Sie sich als Mensch entwickelt?
Sanjay: Vielleicht sollten Sie diese Frage Rhea stellen. Ich meine, es ist schon schwierig, mit mir klarzukommen, aber Rhea hat mein Leben ins Gleichgewicht gebracht, obwohl wir sehr verschieden sind. Ich bin viel reifer, aber weniger vertrauensvoll. Ich fordere nicht viel als Ehemann. Ich will meine Liebe und meine Zeit mit meiner Frau, aber ich lasse ihr den Freiraum, den sie braucht. Sie hat viel ertragen müssen. Die Filmindustrie ist nicht einfach – da gibt’s massenweise Geschmier und Gerede, und sie hat mit einer Menge fertig werden müssen.
Kavita: Was hat Sie unter all den Frauen, die Sie kennen, gerade bei Rhea so angezogen? Sie haben, glaube ich, mal in einem Interview gesagt, dass Sie Ihre Introvertiertheit und Ihre Aufrichtigkeit von Ihrer Mutter hätten, und sie habe vor ihrem Tod noch ein Tonband für Sie besprochen mit der Aufforderung, immer ehrlich zu sein. War das in diesem Punkt eine wichtige Eigenschaft?
Sanjay: Absolut, und als ich sie in diesem Anwaltsbüro sah, in einem weißen Salwar Kameez, da sah sie so rein aus. Sie ist sehr loyal und sehr ehrlich.
„Zu ehrlich, wenn man mich fragt“ lacht Rhea, die inzwischen hereingekommen ist.
„Was war es, das Sie an Sanjay angezogen hat?“ frage ich Rhea. „Sie haben mal gesagt, dass Sie sehr scheu und zurückgezogen sind. Ein Filmstar als Ehemann muss doch Ihr letzter Wunsch auf dieser Welt gewesen sein.“
„Ja, nicht in meinen wildesten Träumen hätte ich gedacht, dass ich an der Seite eines Filmstars enden würde, und noch dazu mit einem, der ständig in den Schlagzeilen ist!“ Sie lacht und fährt fort: „Nun, es ist seine Bescheidenheit, die mich berührt hat. Er ist sehr real, er ist was er ist – nichts an ihm ist falsch. Man ist ja gerne skeptisch bei Leuten aus der Filmindustrie. Aber ich habe mir die Zeit genommen, ihm zuzuhören, habe versucht, den Menschen in ihm kennenzulernen. Meine Bekannten, meine Familie und Freunde haben gesagt: ‚Bist du verrückt? Das ist doch der Letzte, mit dem du dich abgeben solltest.’ Aber irgendwie habe ich das Gefühl: Wenn du den einen bestimmten Menschen in deinem Leben kennenlernst, dann weißt du das tief drinnen in deinem Herzen. Daran glaube ich so sehr, dass ich trotz all der Einwände um mich herum bei ihm geblieben bin, und ich bin sehr froh darüber.“
Als ich mich zum Gehen bereit mache, frage ich: „Was wären Sie geworden, wenn Sie kein Schauspieler geworden wären?“
„Ein Barkeeper“, antwortet er.
„Kein Rausschmeißer, bei all Ihrem Fitness-Faible?“
„Na, das eine schließt das andere ja nicht aus“, schießt er zurück.
Auf dem Weg zur Tür höre ich Rhea sagen, dass ein paar Frauen schon seit zwei Stunden warten, um Autogramme und Fotos zu bekommen. „Ich kann jetzt keine Autogramme geben“ murrt er, müde nach seinem Schlafmangel und dem langen Interview. „Die Armen“, bittet Rhea.
Ich sehe die müden Augen, die Freundlichkeit in ihnen, und ich weiß, dass der Mann bei all seinem Macho-Image ein Softie ist. Ein paar Minuten nach meinem Abgang komme ich noch einmal zurück, und tatsächlich steht er vor der Tür, gibt geduldig Autogramme und posiert für Fotos. Und in diesem Augenblick weiß ich: Egal was das Leben noch für ihn bereit hält, Sanjay Dutts Herz wird immer am rechten Fleck bleiben.
(Kavita Chhibber; Deutsch von Diwali)
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