Filmfare, März 2003
Sanjay Dutt: „Please, I’m no terrorist“
Kaante läuft gut. Seine Position als Schauspieler ist vielleicht besser als je zuvor. Seine Ehe mit Rhea Pillai scheint wieder in Ordnung zu sein. Aber bei meiner Begegnung mit Sanjay Dutt an einem kühlen Januarabend kann er die Sorge in seiner Stimme kaum verbergen.
Die Anhörungen im Mumbai-Bomb-Blast-Prozess sind soeben zu Ende gegangen; demnächst werden die Urteile erwartet. „Ich habe schlaflose Nächte hinter mir, in denen ich nur an meinen Fall gedacht habe. Es ist beängstigend“ gesteht der umlagerte Star. „Ich wünschte, es wäre nie geschehen. Der Prozess war wahnsinnig anstrengend. Er hat mich total wachgerüttelt. Er hat mir klargemacht, dass ich mir der Gesetze meines Landes bewusst sein muss und dass ich meine Freiheit nicht als garantiert betrachten darf.“
Er verrät, dass er daran permanent erinnert wird. „Ich bin einmal beim Einreiseschalter in London festgehalten worden, und Scotland-Yard-Offiziere haben mich eine Stunde lang verhört. Auch bei der Einreise nach Australien wurde ich aufgehalten. Als die Terroranschläge vom 11. September stattfanden, war ich gerade in den USA bei Kaante-Dreharbeiten, und prompt tauchten zwei CIA-Agenten bei mir auf. Das ist alles sehr unangenehm, denn ich bin kein Terrorist. Ich bitte Sie, ich bin in keiner Weise verantwortlich für die Mumbaier Bombenanschläge. Man tötet keine unschuldigen Menschen. Ich kann es nicht glauben, dass ich eines derart abscheulichen Verbrechens angeklagt wurde.“
Er leugnet auch, das vielpublizierte aufgezeichnete Gespräch mit dem Unterwelt-Don Chhota Shakeel geführt zu haben: „Ein solches Gespräch habe ich nie geführt, mit niemandem. Ich weiß wirklich nicht, warum man mich da reinzieht. Selbst der Stimmenexperte sagte, dass die Stimme auf dem Band nicht die meine ist, aber das scheint niemanden wirklich zu kümmern. Offenbar gibt es 50 bis 70 Aufnahmen dieser Gespräche. Warum spielen sie nicht alle ab?“
Die Arbeit war ihm ein großer Trost, sagt er. In mehr als nur einer Hinsicht. Die Menge, die sich an der Mount Mary Church in Mumbai um ihn versammelt hat, feuert Sanjay lautstark an. Als er für eine Szene in Munnabhai MBBS die Kirchenstufen runterrennt, pfeifen und klatschen sie nach jedem einzelnen Dreh. Ein paar weibliche Teenager kreischen laut, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sanjay schenkt ihnen ein Lächeln und löst dadurch nur noch mehr Hysterie aus.
Eine ähnliche Szene wiederholt sich einige Stunden später, als er beim Lilavati Hospital vorbeischaut, um seinen Freund und Kaante-Regisseur Sanjay Gupta zu besuchen, der sich von den Folgen eines Autounfalls erholt.
Zu Hause entspannt sich Sanjay bei einer Tasse Zitronentee und sagt: „Ich bin froh, dass Kaante so gut gelaufen ist. Weil wir unser Hauptziel erreicht haben: einen Film im Stil Hollywoods zu drehen.“
Er ist nicht enttäuscht darüber, dass dem Film die hundertprozentige Anerkennung verwehrt blieb. „Ehrlich gesagt sind es die Mitglieder der Filmgemeinde, die gegen Kaante sind, nicht die Massen. Obwohl die Einnahmen an den Kinokassen großartig sind, machen sie den Film immer noch nieder. Die Handelsexperten jammern ständig, dass Filme gut laufen müssen, aber wenn dann ein Film mal gut läuft, dann wollen sie es nicht akzeptieren. Voriges Jahr haben sie den Film als die große Hoffnung für die Industrie propagiert, und jetzt wollen sie ihn einfach nur noch niedermachen“, klagt er.
Da er sich nun schon mal aufregt, erklärt er verärgert: „Über Kaante wird man reden, solange es die Industrie gibt. Ich wusste, dass Sanjays Film ein Meilenstein werden würde. Technisch ist er brillant, da gibt es nichts zu deuteln. Der Rest der Industrie ist da zwar nicht mit mir einer Meinung, aber das ist mir egal. Sanjay und ich haben das Drehbuch immer und immer wieder überarbeitet. Ich wusste, dass wir Emotionen brauchten; das Publikum musste mit allen Figuren mitfühlen können. Und irgendwie haben wir es geschafft, die Menschen zu berühren.“
Ohne Frage hat Kaante ihm einen guten Einstieg als Produzent verschafft und auch seine Position als Schauspieler befestigt. „Ich bin meiner Arbeit stets mit Leidenschaft nachgegangen“, merkt er an. „Leider haben das nicht viele bemerkt. Vielleicht, weil ich am Set mehr der Spaßmacher bin. Man wird mich nie mit meinen Dialogbögen in einer Ecke beim Proben meiner Rolle antreffen. Aber es ist nicht so, dass ich mich nicht einsetzen würde. Man sieht es nur nicht.“
Mit über 40 scheint der Schauspieler seinen jüngeren Kollegen noch immer ein zäher Konkurrent zu sein. „Das liegt vor allem daran, dass ich im Herzen noch immer ein Kind bin“, lacht er. „Physische Fitness und Diät sind sehr wichtig, besonders in meinem Alter. Ich trainiere regelmäßig und befolge eine strenge Diät. Ich rutsche nicht ab, unter keinen Umständen.“
Er sinnt nach: „Heute sehe ich eine Menge Respekt in den Augen des Publikums. Ich glaube, das geht inzwischen weit über normale Liebe hinaus. Ich habe sehr hart gearbeitet, um diese Position zu erreichen. Mir ist nichts auf einem Silbertablett serviert worden. Ich habe viel durchgemacht, und der Kampf war schwer. Als Schauspieler wachse ich nach wie vor, da ich nie diese Ich-weiß-schon-alles-Einstellung hatte. Ich lerne immer noch.“
Er erzählt, dass er dieser Tage auch lernt, Nein zu sagen. Besonders nach Projekten wie Annarth und Hum Kisise Kum Nahin. Er erklärt: „Diese Filme habe ich für Freunde gemacht. Aber mir ist klar geworden, dass ich mit solchen Gefälligkeiten aufhören muss. Niemand hier weiß Freundlichkeit zu schätzen, und am Ende bin ich dann der Verlierer. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich bin von mir selbst überrascht, aber ich habe tatsächlich gelernt, Nein zu sagen.“
Das gilt auch bei Gejammer und Geldbitten. „Ich bin sehr weichherzig. Immer wenn ich eine rührselige Geschichte höre, lasse ich mich von meinen Gefühlen übermannen. Aber ich habe meine Lektion gelernt, und zwar auf die harte Tour. Mein Kontostand ist nicht niedrig, er ist gleich Null. Von jetzt an helfe ich anderen nur noch, nachdem ich mich selber angesichert habe. Ich war lange genug ein emotionaler Trottel, es war höchste Zeit, dass ich damit aufhöre.“
Dennoch leistet Dutt jr. noch immer einiges an wohltätiger Arbeit. „Das mache ich für meine persönliche Zufriedenheit, nicht für die Öffentlichkeit“, sagt er. „Ich tue viel für AIDS-Patienten, spastisch gelähmte Kinder und Krebs-Organisationen. Ich habe ein Cricket-Match organisiert zu Gunsten der Hinterbliebenen der Techniker, die am Set von LOC Kargil ums Leben gekommen sind. Vielleicht sollte ich meine Wohltätigkeitsarbeit doch öffentlich machen. Damit die Menschen wissen, dass ich ein guter Kerl bin und nicht der Terrorist, als der ich immer hingestellt werde.“
Zum Glück für Sanjay steht sein Vater Sunil Dutt in jeder Situation felsenfest hinter ihm. „Er ist der beste Dad der Welt“, sagt Sanju in einer Gefühlsaufwallung. „Im Moment hat er eine Menge zu tun in der Politik und reist viel herum. Er hat eine Rückenfraktur, aber das hält ihn nicht auf. Ich wünschte nur, er würde sich etwas mehr Ruhe gönnen. Ich habe ihm -zigtausend Mal gesagt, er soll mal Urlaub machen und in den Schwarzwald oder sonst irgendwohin fahren, aber er hört nicht auf mich. Er ist einfach viel zu engagiert.“
Er sorgt sich um seine Tochter Trishala in Amerika. „Ich warte darauf, dass der Prozess zu Ende ist, damit ich sie besuchen kann, wann immer ich will“, sagt er. „Das Gericht da drüben hat mich angewiesen, sie nicht zu entwurzeln und nach Indien zu bringen, obwohl ich ihr biologischer Vater bin. Aber wenn ich mir das Szenario hier ansehe, dann ist es eh besser, dass sie drüben ist. Ich bin ständig in Kontakt mit ihr, per E-Mail oder Telefon.“
Zu den Gerüchten, dass in seiner zweiten Ehe mit Rhea Pillai nicht alles in Ordnung ist, meint Sanjay: „Wir sind noch immer zusammen. Jede Ehe hat ihre Probleme, und auch die unsere hatte ihre Kinderkrankheiten. Aber das war’s auch schon.“
Es gibt Gründe dafür, warum sie noch keine Familie gegründet haben, erklärt er: „Sie ist sehr beschäftigt mit ihren ‚Art of Living’-Kursen, und ich respektiere, was sie tut.“ In Erinnerung an seine kurzzeitige Beschäftigung mit der ‚Art of Living’ gluckst er vergnügt: „Ich bin zu ungeduldig, um diesen Kurs durchzustehen. Ich bin drei Tage lang hingegangen, und am Ende habe ich die Dame beraten, die uns unterrichtet hat.“
Jede Erwähnung seiner angeblichen Beziehung zu einer Frau namens Nadia weist er zurück... so wie andere auch. „Die Bezeichnung als Casanova sollte endlich jemand anderem verliehen werden. Es gibt so viele andere gutaussehende Schauspieler, die sie verdienen“, grinst er.
Auch mit dem Trinken ist Schluss, behauptet er. Er gibt zu, bei der Flasche Trost gefunden zu haben, als ihm während des Prozesses der Druck zu sehr zugesetzt hatte: „Ich habe zwischenzeitlich eine Menge getrunken. Aber seit dem 1. Januar 2003 habe ich komplett damit aufgehört.“
Derzeit freut er sich auf seine nächsten Filmprojekte. „Ich probiere in jedem meiner Filme einen anderen Look aus. Und ich arbeite an einem neuen Drehbuch mit Sanjay Gupta. Es wird ein noch dunklerer Film werden als Kaante. Er wird Zinda heißen“, verrät er. „Es gibt eine Menge, worauf ich mich freuen kann.“
(Nilufer Qureshi; Deutsch von Diwali)
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