Stardust, Dezember 1995
The Lion King returns (Sanju’s emotional outburst)
Und Gott sprach: Es sei eine Flut. Und es war eine Flut. Sintflutartige Regenfälle zerstörten die Erde. Nur ein guter Mann wurde gerettet: Noah. Und von jedem Tier ein Paar und die Pflanzen, die er auf seine Arche geschafft hatte. Dann ließ der Regen nach, alle Sünden waren fortgewaschen. Und Gott gab Noah ein Versprechen: dass er die Erde nie wieder überfluten würde. Und um sich selbst an dieses Versprechen zu erinnern, setzte er einen Regenbogen an den Himmel, bis heute bekannt als der Bogen des Bundes, der mit seinen schönen Farben Gott daran gemahnt, nie wieder zu zerstören, was er so liebevoll geschaffen hat.
Aber die Regenströme sind geblieben. Und die jüngsten Ereignisse in Sanjay Dutts Leben sind genau das gewesen: eine veritable Flut. Von Schmerz, Qual, Verzweiflung und Elend, unerträglich für eine normalsterbliche Seele. Alles Elend aus der Büchse der Pandora auf einen Mann geschleudert. Nur dass Pandoras Büchse auch noch ein weiteres Element enthielt, mit dem man all den anderen begegnen konnte: Hoffnung.
Es war die Hoffnung, die Sanju die Stärke und die mentale Kraft verlieh, alle Qualen zu ertragen. Seine Kreuzigung gab ihm Stärke. Seine Gefangenschaft gab ihm Kraft. Und seine Inhaftierung machte ihn zum Märtyrer. Am 17. Oktober 1995 wurde Sanjay Dutt auf Kaution freigelassen. Nach 470 grausamen Tagen und Nächten im Gefängnis. Das Leid von Sanjay, seiner Familie, seinen Freunden und seiner Geliebten war offiziell vorüber.
Auch für mich war es ein persönlicher Sieg. Denn dies war der Mann, den ich vor neun Jahren an meinem allerersten Tag als Jung-Reporter bei der Stardust getroffen hatte. Dies war der Mann, der Fototermine hasste. Ein Mann, mit dem alle meine Interviews (ohne Ausnahme und einschließlich diesem hier) stets nervenzerfetzende (weil Deadlines überschreitende) Gespräche bei einer Tasse Chai waren – mehr als alles andere. Ein Mann, über den ich Bände geschrieben habe. Und ein Mann, den ich sogar während seiner Haft mehrere Male getroffen hatte. „Genau genommen bist du der einzige Journalist, den ich während meiner Zeit im Gefängnis gesehen habe“, erzählte mir Sanju nach seiner Rückkehr und grinste: „Weißt du noch den Brief, den ich dir aus dem Gefängnis geschrieben habe und den du veröffentlicht hast?“ Wie könnte ich den vergessen.
Heute, in der ersten Novemberwoche, war Sanju mehr „mega“ als jemals zuvor. Er hat eine phantastische Kraft entwickelt, ist bereit, jede Konkurrenz wegzupusten. Er hatte mich eine Woche zuvor mit seinem neuen Mobiltelefon angerufen (an dem Tag, an dem er nach Shirdi aufbrach): „Schau bei mir vorbei, wenn ich wieder da bin. Du bist der einzige, der noch nicht da war.“ Ich versprach es ihm.
Ich hielt mein Versprechen, und bei Hühnerfrikadellen, Gemüsequiche und dampfend heißem Tee kamen wir ins Gespräch. Nicht in seinem Pali-Hill-Bungalow oder am Set wie früher, sondern in seinem gemütlichen neuen Zwei-Zimmer-Apartment, eine Minute von seinem Bungalow entfernt, wo er nun mit der großen Liebe seines Lebens wohnte – mit der beeindruckenden, wunderbaren Rhea Pillai.
Das Haus wurde gerade renoviert. „Tut mir leid, die Sofas sind noch nicht da“, lächelte Rhea, die umwerfend aussah in schwarzen Jeans und einem schwarzen Shirt. Würde schon gehen, ich saß auf der kleinen Couch zwischen zwei Mobiltelefonen (seinem und ihrem?), einer Packung Marlboro Light (immer noch die gleiche Marke), einem Feuerzeug und einem mit Handynummern vollgekritzelten Briefumschlag (diese zehnstelligen Nummern sind aber auch schwer zu merken). Ich bemerkte außerdem, dass Sanju anstelle seiner bevorzugten goldenen Rolex eine Piaget trug („Jeder trägt heute eine Rolex, Mann. Ich musste anders sein.“). Sanjay Dutt war anders.
Obwohl er 22 Kilo Körpergewicht verloren hatte, sah Indiens bestaussehender Star großartig aus. Abgesehen von ein paar dunklen Augenringen (die zu erwarten waren) und den ungekämmten Haaren sah Sanju jeder Zoll der Superstar aus, der er ist. Und er war unwillig wie eh und je, den versprochenen Fototermin zu absolvieren. „Ich sehe nicht gut aus... ich bin mental nicht vorbereitet. Können wir nicht einfach nur ein paar Schnappschüsse machen?... Ich habe jetzt schon seit anderthalb Jahren keinen Fototermin mehr gemacht“, flehte er geradezu. Es bedurfte einiger Überredungskünste von Rhea und mir, bis er sich das frischgebügelte Armani-T-Shirt überzog. Ich bemerkte seine Unbehaglichkeit, als er sich in Positur stellte und in meinen und Rheas Blicken Beruhigung und Rückversicherung suchte. Wir mussten nicht lügen, um ihm zu sagen, dass er supercool aussah. Dann, nach diesem seinem ersten Fototermin seit langer, langer Zeit („Du weißt schon, dass ich das jetzt ganz speziell für dich gemacht habe?“), verabschiedete sich der Fotograf, und Sanju und ich setzten uns hin, um zu reden.
Meine erste Frage sollte die gleiche banale, idiotische, dumme Frage sein, die jeder ihm (zu seiner Irritation) stellte. Also, was war das für ein Gefühl, wieder zu Hause zu sein? Im eigenen weichen Bett zu schlafen? Seine Lieblingsspeisen zu essen? Seine Lieblingskleidung zu tragen? Sein Lieblings-Aftershave von Armani zu benutzen? Und all die Filme zu sehen, die versäumt hatte – ganz nach seinem Belieben? Er grinste sein berühmtes Grinsen. Dann beugte er sich nach vorne und blickte argwöhnisch auf mein Diktiergerät. „Es ist ein gutes Gefühl, großartig, wunderschön.“ Er konnte seine Freude nicht zurückhalten. „Mein Bett ist eben mein Bett. Meine Kleider sind die meinen. Meine Duftwässer sind die meinen. Und auch der Großteil meiner Zeit gehört mir. Ich versuche, alles nachzuholen, was ich versäumt habe. All die Neuigkeiten, Gerüchte und Filme in Erfahrung zu bringen... Zu Hause ist am Ende einfach zu Hause. Der einzige Unterschied ist, dass ich gelernt habe, es viel mehr zu schätzen. Ich kenne jetzt den Unterschied zwischen einem Zuhause und einem Haus. Und mein Zuhause ist mein Zuhause“, seufzte er wehmütig.
Es waren Veränderungen in ihm. Definitiv. Subtile Veränderungen, aber dennoch Veränderungen. Der Blick ruhiger, der Geist mehr kontrolliert. Ein Mann, nicht mehr der Junge, den ich all die Jahre gekannt hatte. „Findest du?“ fragte er mich mit jungenhafter Freude. „Ich weiß nicht. Ich denke, das können dir nur die Leute in meiner Umgebung sagen. Meine Familie und meine engen Freunde. Sie werden dir sagen können, ob ich mich wirklich verändert habe oder nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass ich ruhiger geworden bin, vorsichtiger, weniger impulsiv. Früher war ich viel enthusiastischer, jetzt bin ich bedachter, kontrollierter. Man hat mir gesagt, dies sei ein sicheres Zeichen für Reife“, lachte er.
Ein Zeichen, dass er als Mensch gewachsen ist. Obwohl es sicher noch eine Weile dauern würde, bis er sich wieder an die Normalität gewöhnt hatte. Ich war neugierig zu erfahren, was er getan hatte, nachdem die anfängliche Euphorie nach seiner Entlassung auf Kaution abgeklungen war – nach all den Heimkehr-Feiern.
„Ich habe viel geredet. Mich viel ausgeruht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich wieder eingewöhnt hatte. Ich saß stundenlang da und habe einfach nur geredet. Früher war das ein echter Luxus, wenn ich mir mal Zeit für meine Familie und mich genommen hatte. Aber ich habe gelernt, diese Dinge auszukosten, weil mir klargeworden ist, wie wichtig sie sind. In unserem Streben nach Starruhm merken wir gar nicht, wie wenig Zeit wir mit unseren Lieben und Nahestehenden verbringen, bis es zu spät ist. Aber das habe ich jetzt begriffen. Von jetzt an werde ich mir die Zeit nehmen, um mit denen zusammen zu sein, die mir wirklich etwas bedeuten.
Nachdem ich alles Wichtige an Nachrichten in Erfahrung gebracht hatte, beschloss ich, all die guten Filme nachzuholen, die ich verpasst hatte. Und weißt du, welcher der erste war? Es war ‚Der König der Löwen’, denn ich liebe Animationsfilme, und die Musik war fabelhaft. Ich liebe den Film, den hatte ich wirklich sehen wollen. Aber ich habe noch eine lange Liste vor mir.“ Ich war berührt von dieser romantischen Seite, dieser Liebe zum alten König der Löwen. Von ihm, der ja selbst der Original-Leo-Superstar ist.
Aber, so erinnerte ich ihn vorsichtig, anderthalb Jahre sind eine verdammt lange Zeit, selbst für einen verdammt mächtigen Sterblichen, um die Position wiederzuerlangen, die er verlassen hatte. Während seiner Abwesenheit sind eine Menge neuer Stars aus dem Boden geschossen. War er nicht der Ansicht, dass sich die Dinge verändert hatten? Er runzelte die Stirn.
„Nein, nicht wirklich. Und es ist ja nicht so, als wäre ich völlig von der Welt abgeschnitten gewesen. Ich habe viel gelesen. Das war mein Kontakt zur Filmwelt. Besonders mit der Stardust blieb ich in Verbindung, weil Rhea mir mit schönster Regelmäßigkeit jeden Monat mein Exemplar mitbrachte. Ich wusste genau, was in der Industrie vor sich ging. Ich blieb in Verbindung. Deshalb bemerke ich jetzt nicht wirklich eine Veränderung, geschweige denn, dass sie wie ein Schock für mich käme. Warten wir’s ab. Ich werde hart arbeiten.“ Die Aufrichtigkeit war unverkennbar.
„Das Wichtigste zuerst. Ich brauche erst mal ein paar Monate Auszeit und jede Ruhe, die ich kriegen kann. Und ich muss viel trainieren.“ Er fuhr sich mit der Hand über den Bauch. „Siehst du, wie weich das ist? Ich werde wie ein Irrer trainieren müssen. Und es wird nicht leicht sein. Weißt du, letzte Woche war ich zum ersten Mal wieder im Fitnessstudio und habe versucht, die gleichen Gewichte zu stemmen wie zu dem Zeitpunkt, als ich mit dem Training aufhörte. Und ich konnte es nicht glauben, dass ich es nicht schaffte. Aber ich war so wild entschlossen, ich habe sie gestemmt und alles viel zu sehr forciert. Und schau dir an, was dann passiert ist.“ Er beugte sich vor und zeigte mir seine Unterarme. Sie waren rot und geschwollen und voller Blutergüsse. „Jetzt tun meine Arme so weh, dass ich sie nicht mehr bewegen kann“, lachte er. „Jetzt muss ich warten, bis die Steifheit nachlässt, bevor ich überhaupt irgendetwas tun kann. Ich konnte meine Arme ja nicht mal für deinen Fototermin heben“, lachte er erneut.
In seinem Lachen war aber auch eine Grimmigkeit; es verriet seine eiserne Entschlossenheit, dieses Fitnessstudio – Schmerzen hin und her – wieder und wieder aufzusuchen. Bis er seine alte Form wiedererlangt haben würde. Und ebenso entschlossen war er auch in Bezug auf seine Karriere.
„Ich werde vorerst erst mal keine neuen Filme mehr annehmen. Aber wenn ich wieder in Form bin – mental und physisch –, dann werde ich all meine laufenden Projekte vollenden. Die von den Menschen, die auf mich gewartet haben. Dobby Goels Safari, Afzals Mahaanta, Ram Gopal Varmas Nayak; Anil Rathis Film ist fertig (Vijeta). Und Yash Johar hat mich bereits engagiert. Aber bevor ich damit anfange, muss ich gut aussehen und mich auch gut fühlen. Ich möchte wirklich gerne wieder arbeiten. Ich denke, bis Neujahr werde ich soweit sein. Hoffen wir, dass es ein Neubeginn wird.“
Bei der eisernen Entschlossenheit, die Dutt, wie er bereits bewiesen hat, in überreichem Maß besitzt, dürfte es das ganz bestimmt werden. Dennoch würde es Widerstand geben von denen, die vorübergehend seinen Thron okkupiert haben, während er im Exil war, und gegen eine Abdankung protestieren würden. Welche Ansichten hatte er über sie?
„Über diese neuen Helden? Sie sind gut, Mann. Einige von ihnen sind hervorragend. Im Vergleich zu ihnen fühle ich mich wie ein alter Mann.“ Das Grinsen in seinem Gesicht verriet, dass er das mit dem „alten Mann“ wohl nicht so wörtlich meinte. „Ich freue mich aufrichtig für sie. Aber du kennst mich, ich war sowieso nie der Typ, der eine bestimmte Position erreichen wollte oder verzweifelt versucht hat, die Nummer Eins zu werden. Ich war immer der Gleiche, egal ob ich Erfolg hatte oder am Boden war. Du kennst mich. Ich mache meine Arbeit und überlasse mein Schicksal dem Publikum. Und ich werde wirklich glücklich sein, wenn man mich aus dem Rampenlicht rauslässt. Ich möchte ehrlich und aufrichtig meiner Arbeit nachgehen, das ist alles.“
Nur dass der Deadly Dutt ein Mann ist, den sich das Rampenlicht geradezu sucht. Er war immer ein Superstar. Unabhängig von der Zahl seiner Hits und Pleiten an den Kinokassen. Er sah aus wie ein Superstar, und er hatte die Einstellung eines Superstars. Es war schieres Charisma und reine Star-Power. Ein schillerndes, wechselhaftes Leben. Während dem er viel gelernt hat.
Auch seine Gefängnishaft hat ihn eine Menge gelehrt. Er muss viel über die Industrie und ihre kriecherischen Wege gelernt haben. Er nickte.
„Diese Industrie ist eine knallharte professionelle Branche. Das habe ich inzwischen realisiert. Und daran ist auch gar nichts falsch. In einer professionellen Branche kann man sich keine Emotionalitäten leisten. Wenn du ganz oben bist, sind sie alle da, wenn du am Boden liegst, ist niemand mehr da. Das kann man akzeptieren. Mach deine Arbeit und bleib am Ball. Für jemanden mit Herz ist hier kein Platz. Und ich mache ihnen keinen Vorwurf. Schließlich geht es hier um so viel Geld, es steht so viel auf dem Spiel, da kann man sich Gefühle einfach nicht leisten. Man muss Profi sein, um mit diesen Profis umzugehen. Letztlich regiert Geld die Welt. Früher habe ich viele Gefälligkeiten geleistet in der Emotion des Augenblicks. Aber ich habe beschlossen, diese kostenlosen Gefälligkeiten einzustellen. Außer es geht um eine wirklich gute Sache.“
Nicht mal für Subhash Ghai würde er das tun? Ich konnte diesem Einschub nicht widerstehen. Seine aufschlussreiche Antwort war einfach nur ein herzliches Lachen. Offensichtlich nahm er es Ghai nicht übel, dass der ihn in einer Blitzaktion in Trimurti durch Anil Kapoor ersetzt hatte. „Überhaupt nicht. Ich hatte ihm sogar einen Brief geschrieben, dass er ruhig umbesetzen könne, da ich meinen Vertrag ja nicht erfüllen konnte. Soviel dazu.“
Plötzlich schoss mir der Gedanke an Madhuri Dixit durch den Kopf. Sie hatte mir gesagt, dass sie nichts dagegen hätte, wieder mit Dutt zu arbeiten, ihr Herz sei rein. Und er? „Auch mein Herz ist rein. Wenn Stoff und Drehbuch gut sind, hätte ich nichts dagegen, mit Madhuri zu arbeiten.“ Wieder dieses Grinsen, das mehr verbirgt als verrät.
Eins fiel mir jedoch auf. Der sonst so exaltierte Dutt hatte bis dahin noch nicht einen Kraftausdruck verwendet. Hat er der ordinären Sprache abgeschworen, oder was? Seine Antwort war die eines schuldbewussten Pfadfinders. „Nein, ich benutze schon noch immer ordinäre Ausdrücke. Warum?“ Ich brach in lautes Gelächter aus und bat ihn regelrecht um ein Schimpfwort. Hatte er vor, in die Politik zu gehen? Es gab eine Menge Berichte über die Folgen. Er saß kerzengerade.
„Ich möchte hier ganz kategorisch feststellen, und ich möchte, dass du das in Fettbuchstaben druckst: Ich gehe nicht in die Politik. Ich bin ein Schauspieler. Mein Job ist es, zu unterhalten. Ich bin kein Politiker. Ich werde niemals in die Politik gehen, weil ich dafür nicht geschaffen bin. Ich habe gelernt, mich davon fernzuhalten. Ich bin glücklich mit meiner Arbeit, ich bin glücklich, wenn ich spiele. Mein Vater ist seit zehn Jahren in der Politik, und ich habe nicht ein einziges Mal Wahlkampf für ihn gemacht. Ich bin so viel glücklicher. Ich war niemals daran interessiert“, fertige er dieses Thema barsch ab.
Und dennoch hatte er beschlossen, dem einen Mann zu danken, der während seiner Prüfung offen zu ihm gestanden hatte. Sanjay hatte seiner Dankbarkeit auch Ausdruck verliehen, indem er Bala Saheb Thackeray am Tag seiner Entlassung besuchte, noch bevor er in sein eigenes Haus zurückkehrte. Sanju lächelte.
„Für mich ist Balasaheb kein Politiker, sondern eher wie ein Familienmitglied. Wie eine Vaterfigur, ein Onkel. Ich respektiere ihn ungemein. Während andere unschlüssig abwarteten, war er der einzige, der aufstand und im Brustton der Überzeugung sagte: ‚Der Junge ist unschuldig.’ Da gehört eine Menge Mut dazu, so zu seinen Überzeugungen zu stehen. Und er war überzeugt davon, dass ich unschuldig bin. Dass ich nicht involviert war. Das war es, was zählte. Was das betrifft: Auch Shatru saab (Shatrughan Sinha) und Raj Babbar, obwohl sie zu anderen Parteien gehören, besaßen die Fairness, sich für etwas einzusetzen, was sie als richtig empfanden. Sie standen zu mir in der Stunde der Not, sie traten für mich ein und sprachen für mich. Ich werde nie vergessen, was sie für mich getan haben. So wie ich es auch Dilip (Kumar) saab, Yash Johar, Jayant Jadhav, Mukesh Patel (Autoriders), Harish (Glamour), Afzal, Dobby und Pankaj nie vergessen werde. Sie sind großartig. Ich habe wirklich großes Glück, Menschen wie sie um mich zu haben. Meine Fans, die Menschen meines Landes, die mir ihren unaufhörlichen Beistand bewiesen, indem sie mir schrieben. Rhea, meine Familie – ich möchte ihnen allen danken. Für ihre Liebe, Zuneigung und Gebete.“ Ich sah Tränen in seinen Augen schimmern. Und wie auf ein Stichwort kam Rhea herein und begann sich zu beschweren: „Euer Tee ist kalt. Würdet ihr zwei bitte aufhören zu reden und erstmal euren Chai trinken? Ich habe Kuchen und Gebäck für nachher. Ihr müsst etwas essen.“
Ich sah Sanju an, er musste etwas essen. „Ich muss trainieren“, entgegnete er. „Aber ich muss langsam anfangen. Ich wollte alle meine Muskeln an einem Tag wiederhaben. Und schau, was dabei rausgekommen ist.“ Er zeigte mir noch einmal seine Arme. „Aber ich meditiere auch viel. Ich habe begonnen, viel zu beten. Ich bin sehr religiös geworden. Ich glaube an die Kraft der Gebete. Und an das Schicksal.“
Und was ist mit seinen Zigaretten, fragte ich ihn, als er zu seiner Marlboro-Packung griff. „Ich habe sie auf zwanzig pro Tag reduziert. Irgendwann will ich ganz damit aufhören. Früher? O Gott! Frag mich gar nicht erst, es war eine einzige Kette.“
Um auf das Schicksal zurückzukommen: Da war eine Kette in seinem Leben, die mir zu denken gab. Die Art von Hölle, durch die er gegangen ist. Sein Drogenproblem, der Tod seiner Mutter, seine Lungenprobleme, Richas Krankheit, seine Inhaftierung. Wie viel kann ein Mann ertragen? War es karma, oder was?
„Ich glaube an das karma“, sagte Sanju feierlich. „Ich denke, mit all meinen Leiden habe ich dem Schicksal eine Schuld beglichen. Das müssen wir alle hier auf Erden. Ich denke, ich habe gelitten, weil es mir vom Schicksal so bestimmt war. Ich bete nur, dass ich jetzt schuldenfrei bin und endlich auf die hellere Seite meiner Lebensbilanz wechseln darf. Ich bete und hoffe.“
Er hat seine Lektionen gut gelernt. Und er hat gelernt, gut mit den Medien umzugehen, was er früher so nicht konnte. Er tätschelte mir das Knie und grinste: „Die Presse war gut zu mir. Sie haben zu mir gestanden. Und das sage ich jetzt nicht einfach nur, weil wir miteinander reden, aber das Magazin, das wirklich durch die Bank zu mir stand, war die Stardust. Und das will ich einfach sagen. Ihr habt mich auf eine Weise unterstützt, die geradezu unerhört ist. Und ich fühle ich richtig beschissen, dass ich damals an dem Star-Boykott gegen Filmmagazine teilgenommen habe. Ich fühle mich heute mies deswegen. Richtig, richtig furchtbar. Ich wünschte, ich wäre nie daran beteiligt gewesen. Aber nie wieder. Ich werde niemals wieder zulassen, dass jemand von meinen Schultern aus auf andere feuert“, und er brach in lautes Gelächter aus.
Unser Kreis hatte sich geschlossen. Der Kreis des Lebens, wie Sanju nach dem Lied aus dem „König der Löwen“ sagen würde. Aber das Leben war manchmal unglückselig. Tragisch. Heute war seine Frau Richa, mit der er sich auseinandergelebt hatte, in New York. In einer kritischen Kondition und um ihr Leben kämpfend. Auch seine Tochter Trishala war dort. Doch tragischerweise konnte Sanjay nicht zu ihnen reisen, um bei ihnen zu sein. Wie sehr er es sich auch wünschte. Denn sein Pass war eingezogen worden, bis das Gericht zu seinen Gunsten entscheiden würde. Auch lag eine Menge Bitterkeit in der Luft. Anklagen, Anschuldigungen. Richas Familie behauptete, Sanju kümmere sich nicht um sie. Nicht mal um seine eigene Tochter Trishala. Eine permanente Beschuldigung durch Ena (Richas aufwieglerische Schwester) war, dass Sanjay nicht einmal Unterhalt für seine Tochter bezahlte. Eine Anklage, die Dutt ganz klar zurückwies.
„Es ist sehr unglücklich, dass all diese Dinge gleichzeitig passiert sind. Meine Inhaftierung. Richas Krankheit. Gut, es bleibt die Tatsache, dass unsere Beziehung schon lange zu Ende war. Lange vor ihrer Krankheit. Uns war beiden klar geworden, dass wir nicht zueinander passten. Aber das Ganze nahm tragische Dimensionen an, als sie erkrankte. Und wie können sie sagen, dass wir uns nicht um sie kümmern? Das ist verletzend. Ich möchte Richa treffen, möchte sie sehen. Ich möchte bei ihr sein in dieser kritischen Zeit. Aber schau dir die unglücklichen Umstände an. Ich kann das Land nicht verlassen. Ich kann nicht reisen. Was kann ich tun? Meine Hände sind gebunden.
Zumindest Priya ist schon mal drüben, um bei Richa zu sein. Mein Vater wird rüberfliegen. Und ich will auch zu ihr. Um meine Tochter zu sehen. Ich liebe Trishala. Ich will für sie und Richa da sein.
Und wie können sie behaupten, dass ich keinen Unterhalt zahle und mich nicht um sie sorge? Wie könnte es möglich sein, dass ich meine Tochter nicht zurückhaben möchte? Ich möchte meine Tochter zurückhaben. Du kannst jeden danach fragen, wie sehr ich es versucht habe. Ich bin ein Mensch mit Familiensinn, so war ich schon immer. Wie könnte ich mich nicht um meine Tochter kümmern? Das ist eine so furchtbare Behauptung. Wenn ich die Erlaubnis bekomme, flieg ich noch heute zu ihr.
Ich habe vom Gefängnis aus an Richa geschrieben. Mehrere Male. Und ständig an Trishala. Ich habe auch mit Richa gesprochen, nachdem ich entlassen wurde. Ich bete für Richa. Gott ist groß. Ich hoffe, er schenkt ihr den Frieden und das Glück, das sie verdient. Ich werde ihr immer wünschen, dass es ihr gut geht.
Was all die negativen Dinge betrifft, die ihre Familie über mich verbreitet, daran bin ich gewöhnt. Genau genommen bin ich darauf vorbereitet. Aber ich kann nicht verstehen, warum sie nicht die volle Wahrheit sagen. Jede Geschichte hat immer zwei Seiten. Aber hast du jemals mich dazu etwas sagen hören? Ich ziehe es vor, Würde zu wahren und Privates privat bleiben zu lassen. Ich glaube an die Würde des Schweigens. Und auch meine Familie, hast du jemals irgendwelche negativen Kommentare von ihnen gelesen oder gehört? Vielmehr ist meine Familie so besorgt um sie, dass sie zu ihr geflogen ist. Und das werde ich auch, wenn ich die Erlaubnis bekomme. Es kommt jetzt einzig darauf an, dass Richa wieder gesund wird. Alles andere ist zu unbedeutend, um überhaupt darüber zu reden.“
Sanjay hat Klartext gesprochen. Offensichtlich war die Ehe schon lange zuvor vorüber. Wenn sie noch weitergeführt wurde, dann aus Liebe zu einem kleinen Stops namens Trishala. Aber Sanjay und Richa waren schon eine ganze Weile getrennte Wege gegangen. Es wäre wohl sensibler gewesen, schon viel früher loszulassen. Zwei unglückliche Menschen wären getrennt voneinander vielleicht besser dran gewesen. Wer weiß? Aber im grausamen Licht des heutigen Tages wäre das Gleiche unmenschlich und unsensibel. Ich bedauerte Richa, die ich nur einmal getroffen hatte, bei ihrer Ankunft in Bombay (am Flughafen) bei ihrem letzten Abstecher hierher. Und Sanjay, der arme Sanjay war auch in einem Dilemma, da die Scheidung, die er so lange gewollt hatte, drei Jahre lang, plötzlich eine zu grausame Sache war, um sie zu verlangen. Es war eine vollständige Tragödie. Und niemandem konnte ein Vorwurf gemacht werden außer den Umständen.
Das brachte mich zurück zu der wunderbaren, schönen und stoischen Frau namens Rhea Pillai. Eine Frau, die nicht nur das Herz von Sanjay und dem Rest seiner Familie gewonnen hatte durch ihren unermüdlichen und unerschütterlichen Beistand, sondern auch die gesamte Welt. Rhea, die warmherzige, zärtliche, gastfreundliche, höfliche, humorvolle, starke Rhea. Das perfekte Gegenstück zu Dutt, diesem Jungen und Mann in einem. Es bedurfte einiges an Mut für das zierliche Model, Tag und Nacht vor dem Gefängnis zu stehen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Um nur seine Finger durch ein Maschendrahtgitter zu berühren. Es war eine übermenschliche Anstrengung von ihr, ihren Sanju zu unterstützen.
Sanju blickte sie liebevoll an und bat sie, sich zu uns zu setzen. „Wir reden gerade über dich“, sagte er und tätschelte ihr Knie. „Umso mehr Grund für mich zu verschwinden“, scherzte sie und deutete einen Fluchtversuch an. Dann setzte sie sich und hörte zu.
„Ich traf Rhea vor zwei Jahren im Büro von Mr. Jethmalani. Meine ganzen Probleme begannen damals erst, und ich war sehr deprimiert. Ich saß da ganz für mich allein. Aber dennoch bemerkte ich sie. Es war eine unmittelbare Chemie zwischen uns. Sie kannte mich damals noch nicht einmal, und doch war sie so besorgt. Wir verstanden uns sofort. Sie ist ein wunderbarer und liebenswerter Mensch. Sie ist stark. Sie hat wie ein Felsen zu mir gestanden. Wer würde stundenlang vor dem Gefängnis stehen nur für einen kleinen Blick? Ich bin sehr glücklich, sie zu haben. Ich liebe Rhea sehr. Und irgendwann möchte ich sie auch heiraten.
Ich weiß, ich klinge konservativ. Ich glaube, ich bin alt geworden.“ Oder erwachsen, werfe ich ein. Rhea nickte: „Er war immer schon konservativ.“ „Ja“, nickte Sanju. „Ich bin orthodox. Ich bin sehr religiös. Ich glaube an dieses besondere Band, das man Ehe nennt. Für mich ist dieses Ritual sehr wichtig für eine ernsthafte Beziehung. Diese Runden um das heilige Feuer sind für mich von großer Bedeutung. Für meinen Seelenfrieden. Rhea und ich mögen jetzt hier in diesem kleinen Apartment zusammenleben, aber erst am Tag unserer Hochzeit werde ich wirklich in Frieden sein. Doch das überlasse ich Gott. Und dem Schicksal.
Glaub mir, Rhea hat sich selbst bewiesen. Ich war anderthalb Jahre im Gefängnis. Aber sie hat alles aus eigenem Antrieb gemacht. Sie war meine Stärke von draußen. Deshalb bin ich auch beinahe zusammengebrochen, als ich hörte, dass es ihr nicht gut ging. Und ich bat um eine Sondergenehmigung, um sie besuchen zu dürfen. Ich danke dem Gericht, dass sie mir gewährt wurde. Es war das Wenigste, was ich tun konnte für jemanden, der so viel für mich getan hat.“ Er blickte sie erneut an mit diesem zärtlichen Licht der Liebe in seinen Augen, und auch sie leuchtete. Sanjay war zu Hause. Ihr Sanjay. Ihr König der Löwen.
„Ich freue mich auf die Zukunft. Ich bin sicher, sie wird hell und strahlend sein. Ich möchte jetzt einfach nur zur Ruhe kommen und sesshaft werden. Bete für mich.“ Immer, erinnerte ich ihn, als ich mich erhob, um zu gehen. Sanjay und Rhea begleiteten mich zum Aufzug. Er verpasste mir seine gewohnte Mann-zu-Mann-Bärenumarmung. „Komm wieder. Wir müssen richtig miteinander zum Essen ausgehen, weißt du, wir haben etwas miteinander zu feiern. Und wir haben gar nicht richtig miteinander geredet. Wir müssen viel nachholen.“ Ein warmherziges Auf Wiedersehen von beiden, dann kehrten sie in ihr vertrautes Liebesnest zurück, Hand in Hand.
Der König der Löwen. Er war zurück. Und zufälligerweise bemerkte ich später am Abend, als ich mit Rhea sprach (sie hatte angerufen, um zu fragen, wie die Bilder – die ersten nach anderthalb Jahren – geworden seien), dass sie ihn tatsächlich ihren „lion king“ nannte. Damals hatte ich darüber gelacht.
Erst als ich die letzten Worte dieses emotionalen Interviews niederschrieb, traf mich der Gedanke. Sollte die Schmerzensflut in Sanjus Leben tatsächlich allmählich nachlassen, wo war dann der berühmte Bogen des Bundes? Der Regenbogen als Erinnerung an das Versprechen Gottes? Dieser Regenbogen, so wurde mir klar, war Rhea. Ein Versprechen an Sanju zur Erinnerung, dass sein Elend endlich hinter ihm lag und dass die Zukunft farbenfroh aussah.
Es war ein wohlgehaltenes Versprechen. Toi-Toi-Toi!
(Omar Qureshi; Deutsch von Diwali)
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