Dienstag, 16. September 2008

Mehbooba (2008)

Zur Story: Der in Budapest lebende Karan (Ajay Devgan) verliebt sich unsterblich in Payal (Manisha Koirala), die Frau seiner Träume. Als er endlich Gelegenheit erhält, ihr seine Liebe zu gestehen, reagiert sie abweisend. Ihrem väterlichen Freund (Kader Khan) vertraut sie den Grund dafür an: Sie ist in New York das Opfer des charmanten und reichen Playboys Shravan Dhariwal (Sanjay Dutt) geworden. Seine Avancen hatte sie zunächst in aller Öffentlichkeit zurückgewiesen und ihm dabei erklärt, dass er nicht alle Frauen für sein Geld kaufen könne. Als er sich daraufhin bei ihr entschuldigte und bei ihrem Vater um ihre Hand anhielt, glaubte sie ihm doch noch ihre Liebe schenken zu können. Doch nach ihrer Verlobung und der gemeinsam verbrachten Nacht warf Shravan sie mitleidlos weg wie ein kaputtes Spielzeug: Er hatte sich nur mit ihr verlobt, um sie ins Bett zu kriegen und sich so für die öffentliche Demütigung zu rächen. Seitdem hat Payal ihren eigentlichen Namen Varsha Mehra abgelegt und glaubt nicht mehr an die Liebe. Doch schließlich wagt sie mit Karan einen Neuanfang und folgt ihm in sein Elternhaus nach Indien, um seine Familie kennenzulernen, darunter neben seiner Mutter (Reema Lagoo) auch seinen älteren Bruder, den Karan über alles liebt und der einer Liebe nachtrauert, deren Wert er erst erkannte, als es zu spät war: Shravan...

Als Eros Ende 2007 den Release von Afzal Khans Mehbooba für 2008 mit einem Trailer ankündigte, rieben sich wohl viele Filmfreunde die Augen: Die opulente Ausstattung, die Musik und die groß angelegten Tanzszenen ließen eher an die 90er Jahre denken als an die Hi-Tech-Phase Ende des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert. Insider indessen wussten den Nostalgie-Look einzuordnen: Mehbooba ist ein Kind der späten 90er Jahre. 1999 hatte Afzal Khan mit den Dreharbeiten begonnen, die sich aus verschiedensten Gründen – Sanjays Gerichtsverfahren, Ajays und Manishas Terminkalender, Organisationsmängel und vielleicht zwischendurch auch mal Geldknappheit – danach immer wieder verzögerten. Erst 2003 konnte Khan wieder ausgiebig für Mehbooba drehen und in den Jahren danach Stück für Stück noch die letzten Szenchen nacharbeiten. 2005 war Mehbooba für eine Premiere bei der IIFA im Gespräch – danach verlor sich jede Spur zu dem Opus, bis eben jener Eros-Trailer Mehbooba der Vergangenheit und Vergessenheit entriss.

Trotz der Starbesetzung rechnete allerdings wohl niemand mit einem Erfolg (der Flop stellte sich auch prompt ein). In den Großstadt-Multiplex-Kinos wurde das Relikt aus dem vergangenen Jahrzehnt gar nicht erst gezeigt; Mehbooba fand sein Publikum eher in den kleinen Kinos auf dem Land, wo man die Verrisse, die auf das "veraltete" und "altmodische" Mehbooba niederhagelten, wohl gar nicht erst zur Kenntnis nahm und sich einfach darüber freute, mal wieder in Nostalgie schwelgen zu dürfen. Die Filmfare vom 20.8.2008 brachte es auf den Punkt: "Afzal Khans stark verspäteter (und veralteter) Film Mehbooba stellt eine krasse Erinnerung an das dar, was das Hindi Cinema verloren hat in seiner wilden Jagd nach mehrgleisigen Handlungen, gewundenen und verdrehten Erzählweisen, geteilten Bildschirmen, farbkorrigierten Schnitten und den allerneuesten Special Effects. Mit seinem altmodischen Liebesdreieck erhebt der Film keinerlei Anspruch, sich den 'Multiplex-Empfindlichkeiten' anzubiedern. Er belässt die Story einfach, die Ausstattung glänzend und überlebensgroß und die Handhabung höchst melodramatisch. Er betont genau die Elemente, die den Hindi-Filmen weltweit ihre kitschige Identität eingebracht haben."

Eines muss man Mehbooba lassen: Angesichts der insgesamt mindestens fünf, sechs Jahre Drehzeit ist es Afzal Khan gelungen, ein Werk wie aus einem Guss abzuliefern. Im Vergleich zu ähnlichen anderen Fällen wirkt hier nie etwas wie eine Verlegenheitslösung; die Szenenabfolge ist stimmig, und es gibt keine Brüche in der Gesamtoptik. Dass sich die Darsteller im Laufe der Jahre verändert haben – geschenkt, denn selbst hier gibt es nur wenige wirklich auffallende Vor- und Zurücksprünge. Afzal Khan hat seine Szenen offenbar immer blockweise gedreht und nicht bunt durcheinander, was dem Endergebnis sehr zugutekommt.

Stichwort Nostalgie: Das trifft natürlich ganz besonders auf die Handlung zu. Solche klassischen Dreiecksgeschichten, in denen zwei Männer die gleiche Frau lieben (und womöglich auch noch beide für den jeweils anderen verzichten wollen), waren in den 90er Jahren noch gang und gebe – einschließlich der Begleiterscheinung, dass die Frau sich dabei meist als Liebesobjekt hin- und herschieben lassen musste, ohne vielleicht auch mal gefragt zu werden, was sie selber denn möchte. Afzal Khan dürfte einige solcher Filme gesehen haben, denn man erkennt doch so manches wieder. Mehbooba wirkt insgesamt wie eine Melange aus Saajan, Hum Dil De Chuke Sanam und Chal Mere Bhai: Aus Saajan stammt die gegenseitige Aufopferung der Brüder samt schlussendlicher Standpauke der Herzdame (wobei Madhuris Wutausbruch von Manisha nicht mal annähernd erreicht wird), aus HDDCS stammen die opulente Ausstattung mit den farbenprächtigen Tanzszenen, der sanftmütige Mann, der bereit ist, seine Liebe zu opfern, und natürlich Ajay in Budapest (für Ajay muss der Karan stellenweise das reinste Déjà-vu gewesen sein), und aus Chal Mere Bhai stammt die herzerwärmende und liebevolle Brüder-Chemie (auch wenn Sanjay und Ajay in diesem Punkt nicht ganz an Sanjay und Salman herankommen).

Neu dagegen ist in jedem Fall Sanjay in der Rolle eines gewissenlosen Playboys. Er hat ja nun schon einiges an negativen Rollen gespielt, aber sein Shravan gehört in eine Kategorie, in die man ansonsten eigentlich nur noch den Raka aus Zahreelay stecken kann: ein (zumindest anfangs) richtig fieses Schwein, zwar unverschämt gutaussehend und charmant, aber eben ein Mistkerl, der erst später zur Besinnung kommt, als es in mehrfacher Hinsicht bereits zu spät ist. Die Szene, in der Sanjay Manisha schlägt und demütigt, hat Afzal Khan zum Glück mit als erstes gedreht: Hier begegnet uns Sanjay noch einmal im besten Vaastav-Raghubhai-Habit. Und obwohl man den Grund für seine spätere Reue und Läuterung nur aus Erzählungen erfährt und sie nicht miterleben darf, kann man den "anderen" Shravan letztlich akzeptieren, zumal da Sanjay ihn zwar emotional stark, aber dennoch zurückhaltend genug spielt, um die Sympathien des Publikums (das erfahrungsgemäß schnell verzeiht, wenn ein Bösewicht sich als reumütig und gutherzig erweist, das hatte Sanjay zuvor schon oft genug in seinen Filmen selbst erlebt) nicht unangemessen stark auf sich zu ziehen.

Denn die Sympathien gehören zuvörderst Ajay und Manisha. Ajay spielt den aufrichtig liebenden Romantiker mit viel Ehrlichkeit in seinen Augen, so dass man es verstehen kann, dass Payal bei ihm wieder Vertrauen in die Liebe zu finden hofft. Seine Chemie mit Sanjay ist sehr schön und zum Teil richtig berührend. Und Manisha, Ende der 90er Jahre Sanjays Film-Dauerpartnerin (Khauff, Kartoos, Baaghi), zeigt einmal mehr, dass sie zu den besten ihrer Zunft gehört.

Afzal Khan erzählt die Story geradlinig und ohne störende Nebenhandlungen oder schrilles Beiwerk wie unnötige Comic Reliefs o.ä. Dass der Film dennoch fast drei Stunden dauert, liegt auch an der Vielzahl der Songs und Tanznummern, bei denen Khan weder Kosten und Mühen gescheut hat und zum Teil ganze Hundertschaften an Tänzern auffahren ließ, einschließlich Sanober Kabir für die "Babuji"-Nummer mit den beiden leicht angeheiterten Brüdern Shravan und Karan – eine Szene, die noch getoppt wird dadurch, dass sich Sanjay und Ajay anschließend in einer schaumgefüllten Riesenbadewanne abkühlen...

Für Filmnostalgiker und solche, die das gute alte farbenprächtige und überlebensgroße "Kitsch-Bollywood" (samt Abstecher in die – diesmal österreichischen – Alpen) lieben, ist Mehbooba ein gefundenes Fressen, das man sich jederzeit ruhig mal einverleiben darf, wenn man zwischen all dem derzeit angesagten Film-Fast-Food eine kulinarische Abwechslung braucht. Er ist sicher kein Meisterwerk – das wäre er auch nicht gewesen, wäre er ein paar Jahre früher rausgekommen. Aber knapp drei Stunden Augen- und Ohrenschmaus bietet er allemal.

Produktion und Regie: Afzal Khan
169 Min.; DVD: Eros, englische UT (inkl. Songs)
Sanjay über seine Rolle

P.S. Im Vorspann bedankt sich Afzal Khan mit ausführlichen und warmherzigen Worten bei einigen Menschen für ihre Freundschaft und ihren Beistand: bei seinem verstorbenen Vater, bei Manmohan Shetty, Raj N. Sippy, Veeru Devgan, Ajay Devgan, Salman Khan – und bei Sanjay Dutt:

"The man responsible for me becoming a director – my best friend, my brother and a very important part in my family: Sanjay Dutt.
He’s been a part of every event in my life and he has always been there for me.
My life would be incomplete without Sanjay Dutt’s presence and undying support.
Thanks Dutt Saab."

(Er ist dafür verantwortlich, dass ich Regisseur wurde – mein bester Freund, mein Bruder und ein sehr wichtiger Teil meiner Familie: Sanjay Dutt.
Er war bei jedem Ereignis in meinem Leben dabei und war stets für mich da.
Mein Leben wäre unvollständig ohne Sanjay Dutts Gegenwart und nie endende Unterstützung.
Danke, Dutt Saab.)

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