Donnerstag, 13. November 2008
Shot in Bombay (2007)
Liz Mermin: Shot in Bombay (2007)
Liz Mermin verfolgte in ihrem Dokumentarfilm während der ersten sieben Monate des Jahres 2007 die Entstehung des Filmes Shootout At Lokhandwala. Der zweideutige Titel ihrer Doku „Shot in Bombay“, was sowohl „gedreht in Bombay“ als auch „erschossen in Bombay“ bedeuten kann, umfasst die ganzen Verflechtungen von Realität und Fiktion, die Mermin in dieser Zeit eingefangen hat: die Dreharbeiten zu einem Film, der auf wahren Begebenheiten basiert, welche auch Fragezeichen auf die Beziehungen zwischen Polizei und Unterwelt werfen, und in dem der Hauptdarsteller Sanjay Dutt einen Polizisten auf der Jagd nach Terroristen spielt, während er zugleich selber auf sein Urteil wartet in einem Prozess, in dem er vierzehn Jahre lang als Terrorist verdächtigt war. Sanjays Gerichtstermine, die ständige Sorge um eine Verlängerung seiner Freiheit auf Kaution und seine Nervenbelastung in den dreieinhalb Wochen, in denen Regisseur Apurva Lakhia sein Pensum durchpaukte, beeinflussten die Dreharbeiten massiv. Durch eine Mischung aus Aufnahmen vom Set und originalen Einspielungen früherer Ereignisse und Reportagen gelang Liz Mermin ein packendes Dokudrama, in dem die Grenzen zwischen Fiktion und Realität mehrfach zu verwischen scheinen.
Beim Blick hinter die Kulissen kommen viele Menschen zu Wort – Crew, Cast, Stuntmen und das Body-Double Yakub Khan Kayamkhari, der sowohl für Sanjay Dutt als auch für Amitabh Bachchan einspringt, wenn’s notwendig wird. Man könnte anfangs meinen, einem ganz normalen Making Of zuzusehen, wären da nicht schon gleich am Anfang die Bilder von Sanjay vor dem TADA-Court gewesen – Bilder vom 31. Juli 2007, dem Tag seiner Verurteilung zu sechs Jahren Haft wegen illegalen Waffenbesitzes. Wenn die Doku dann zurückspringt auf „sieben Monate vorher“, dann verfolgt man die Ereignisse umso bewusster und intensiver – spätestens ab Sanjay Dutts verschmitzt lächelnder Antwort auf die Frage nach der Botschaft von Shootout At Lokhandwala: „Don’t be a gangster!“
Die Parallelen zwischen Filmhandlung und den historischen Ereignissen zeigt Mermin auf durch Originalaufnahmen vom 16. November 1991, dem Tag, an dem ein mehrstündiger Schusswechsel zwischen Polizeieinheiten und einer fünfköpfigen Gangsterbande im Svati Building in Lokhandwala den Ort in ein Schlachtfeld verwandelte, und durch Erinnerungen des ACP Aftab Ahmed Khan, der damals den Einsatz mit der Devise „Shoot to kill!“ geleitet hatte – Gerüchte besagen, auf Anweisungen des Unterwelt-Bosses Dawood Ibrahim, der sich auf diese Weise der fünf rebellischen Kleinganoven entledigen wollte. Es ist die Rolle dieses Aftab Ahmed Khan, die Sanjay Dutt in der Verfilmung der Ereignisse von 1991 spielt.
Dawood Ibrahim, der derzeit meistgesuchte Gangster Indiens, stand – welch ironische Einblendung! – „für ein Interview nicht zur Verfügung“. Er hat sich ins Ausland abgesetzt nach den Mumbai Bomb Blasts vom 12. März 1993, einem blutigen Vergeltungsakt für die ebenso blutigen Mumbai Riots von Anfang 1993, denen hauptsächlich muslimische Zivilisten zum Opfer gefallen waren. Hier setzt die zweite Verflechtung von Dreharbeiten und Realität ein: Sanjay Dutt, dessen Familie während dieser Riots massiven Bedrohungen ausgesetzt gewesen war, war damals angeboten worden, sich zu ihrem Schutz eine automatische Waffe liefern zu lassen. Ohne lang nachzudenken nahm er das Angebot an – und ohne zu ahnen, dass seine Lieferanten wenige Wochen später jene verheerenden Bombenanschläge auslösen würden. Im April 1993 wurde Sanjay verhaftet und der Beteiligung an dieser terroristischen Verschwörung angeklagt; er verbrachte mit einer Unterbrechung 16 Monate in Untersuchungshaft, bevor er im Oktober 1995 auf Kaution freigelassen wurde. Bis Ende 2006 zog sich der Prozess um die insgesamt 123 Angeklagten in diesem Fall hin, bis Sanjay schließlich am 28. November 2006 zwar des illegalen Waffenbesitzes für schuldig gesprochen, von allen terroristischen Anklagen jedoch freigesprochen wurde.
Liz Mermin gibt mit einfachen, aber präzisen Hinweisen und ausgewählten Bildaufnahmen einen kurzen, aber erfreulich korrekten informativen Überblick über diese Ereignisse und versucht sogar eine Erklärung dafür, wie ein erwachsener Mann einen solch fatalen Fehler begehen konnte: Sie lässt Sanjay in Sequenzen aus der Dokumentation To Hell and Back aus dem Jahre 1996 selbst zu den Ereignissen zu Wort kommen (Sanjay, der selber Hindu ist, erzählt darin, wie er während der Riots allen Opfern geholfen hat, egal ob Hindus oder Muslime – und genau wegen dieser Hilfe für Muslime hatten fanatische Hindus dann damals seine Familie mit dem Tod bedroht) und blendet außerdem eine Aufnahme aus dem Jahr 1990 ein, in der Sanjay in jugendlicher Unbekümmertheit sein Credo formulierte, immer das zu tun, was er für richtig halte, ob es nun tatsächlich richtig sei oder falsch. (Spätestens hier stellt man erleichtert fest, dass Liz Mermin es nicht darauf abgesehen hat, Sanjay zum Kriminellen abzustempeln, sondern eine wohltuend neutrale Grundhaltung einnimmt.)
Und nun, Anfang 2007, dreht Sanjay für den Film Shootout At Lokhandwala, während er zugleich alle paar Tage einen Gerichtstermin hat und nicht weiß, wie lange seine Freiheit auf Kaution noch anhalten wird (das Urteil ist gesprochen, aber die Strafzumessung steht noch aus, und Sanjay weiß, dass ihm fünf bis zehn Jahre Haft für den illegalen Waffenbesitz drohen). Mermin fängt viele spannende und interessante Ereignisse und Produktionsabläufe vor und hinter der Kamera ein und vermischt sie mit den Problemen, die der Crew daraus entstehen, dass Sanjay immer wieder zum Gericht muss zu Verhandlungen, die meist auch noch ergebnislos auf den nächsten Tag vertagt werden und so den Drehplan erneut über den Haufen werfen. Wenn Sanjay dann mal da ist, werden seine Szenen in einem Gewaltmarathon durchgezogen; meist ruft der Regisseur schon nach der ersten Aufnahme „Cut! Mindblowing!“ und geht zur nächsten Szene über; Wiederholungen kann er sich nicht leisten. An die Nieren geht in diesem Zusammenhang eine Szene, in der Sanjays angespannte Nerven versagen; mehrfach verhaspelt er sich im Text, und als er die Szene endlich doch noch schafft und Lakhia sein obligatorisches „mindblowing“ ausruft, sieht man es Sanjays Gesicht genau an, was er davon hält; er weiß, dass das alles andere als mindblowing war.
Aber nicht nur Sanjay selber steht unter Druck. So fiebert zum Beispiel am 18. Januar das gesamte Team, während er vor Gericht eine Verlängerung seiner Kaution beantragt, und versucht sich mit dem Spruch „no news are good news“ Hoffnung zu machen, dass es mit den Dreharbeiten weitergehen kann, bis die erlösende Nachricht von der genehmigten Verlängerung eintrifft. Menschen auf der Straße werden gezeigt, die sich für Sanjays Freiheit aussprechen; einer will sich sogar für ihn zu Tode fasten. Sanjay selbst bemüht sich sichtlich, sich seinen seelischen Stress nicht anmerken lassen; es gelingt ihm sogar immer wieder, in Mermins Kamera zu lächeln, obwohl diese Doku für ihn sicher noch eine zusätzliche mentale Belastung war.
Nach dem Ende der Dreharbeiten verfolgt Liz Mermin noch kurz die Postproduction und die Promos bis zur Premiere am 25. Mai 2007. Die Kritiken waren vernichtend, aber an den Kinokassen florierte der Film und wurde zum Hit. Unter den Ausschnitten aus dem Film, die in die Doku eingeblendet werden, ist auch die Szene, in der die Reporterin die Frage stellt, ob Khans Handlungsweise richtig oder falsch war. Seine Filmfigur wurde offiziell entlastet; Sanjay selber wurde dies nicht vergönnt. Mit Bildern vom 31. Juli 2007, dem Tag seiner Verurteilung zu sechs Jahren Haft gut zwei Monate nach der Filmpremiere, schließt sich der Kreis in Mermins Doku, die am Ende noch bekanntgibt, dass sich Sanjay, der sein Urteil angefochten hat, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder auf Kaution in Freiheit befindet und nun die Wiederaufnahme seines Verfahrens erwartet – was nach Meinung von Rechtsexperten noch lange dauern kann...
Shot in Bombay ist eine sehenswerte, mit viel Fingerspitzengefühl erstellte Dokumentation über Filmdreharbeiten in Mumbai, über die Verflechtungen sowohl der Filmwelt als auch der Polizei mit der Unterwelt und über die sieben nervenzermürbenden Monate, die Sanjay Dutt auf sein Strafmaß warten musste. Dank Liz Mermins sachlicher und neutraler Herangehensweise kann sich jeder – wie auch am Ende des Filmes Shootout At Lokhandwala – selber sein Urteil über die Ereignisse und die Beteiligten bilden.
Produktion: Nahrein Mirza; Regie: Liz Mermin
100 Min.; DVD by Little Bird
Meine Review zu Shootout At Lokhandwala
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