Ciné-Blitz, Juni 1981
Sanjay Dutts erster Film Rocky war überschattet von der schweren Krankheit und schließlich vom Tod seiner Mutter Nargis; sie verstarb fünf Tage vor der Premiere. Zu Beginn der Vorführung wurde mit einem Lichtbild um eine Schweigeminute für Nargis gebeten. Auf Veranlassung Sunil Dutts wurde das Dia jedoch nach der Premiere entfernt und bei den weiteren Vorführungen nicht mehr eingeblendet.
„Gott war sehr grausam...“ – Sunil Dutt
Harmeet Kathuria berichtet von 38, Pali Hill
Sitz Nr. 15 in Reihe E des Ganga Cinema war leer am Abend des 8. Mai 1981. Rechts davon saßen Sunil und seine ältere Tochter Namrata (Anju) Dutt, links davon Sanjay und Priya Dutt. Es war die Premiere von Rocky. Und immer wieder wandte sich Sunil dem leeren Sitz zu, als wollte er sagen: „Schau, was für einen Beifall, was für einen Jubel unser Sohn erhält!“ Und er muss eine spontane Reaktion à la „Erinnert er dich nicht an Birju (Sunils Rolle in Mother India)?“ oder vielleicht auch „Sei still, du lenkst mich ab“ vermisst haben.
Doch Gott war sehr unfair. Sunil erhielt keine Chance, so etwas zu sagen und entsprechende Reaktionen zu bekommen. Denn seine Frau Mrs. Nargis Dutt konnte die Premiere des ersten Filmes ihres Sohnes nicht mehr miterleben. Gott hatte sich von seiner grausamsten Seite gezeigt. Nargis war nur fünf Tage zuvor gestorben.
Kurz zuvor an diesem Abend hatte Sunil Dutt in 38 Pali Hill beklommen an seinem Tee genippt. Es war kurz nach 19 Uhr, und an sich müsste jetzt Mrs Dutt drängeln, schreien und alle antreiben, sich fertig zu machen. Und selbst dann wäre damit zu rechnen, dass die Dutts zu spät kommen würden. Doch an diesem Abend hatte Sunil die Rolle der Mutter übernommen und zu Sanjay gesagt: „Mach dich fertig, yaar. Schau, wie du aussiehst. Rasier dich und nimm ein Bad... Und sag den anderen, sie sollen sich fertig machen.... Wir müssen um acht hier losfahren, wenn wir um neun im Kino sein wollen.“ Und für einmal in vielen Jahren schaffte es Sunil Dutt auf den Punkt genau rechtzeitig zu einer Veranstaltung.
Doch schon am nächsten Morgen war Schluss mit seiner gefassten Fassade. Ich besuchte ihn erneut und begann bewusst mit einem Thema, das seine Gefühle wecken musste, um ihn zum Reden zu bringen. (Am Abend zuvor waren wir eine Stunde lang beieinander gesessen, ohne auch nur ein Wort zu wechseln.) Ich begann, über die Entstehung und die Dreharbeiten von Rocky zu sprechen und fragte ihn, wie er bestimmte Szenen umgesetzt habe. Eine Weile war Sunil nun damit beschäftigt, über die verschiedenen Hindernisse und Probleme bei der Produktion dieses Films zu reden, und ich fühlte mich allmählich innerlich erleichtert durch die Erkenntnis, dass es zumindest eine Domäne gab – nämlich seine Arbeit –, die ihm dabei würde helfen können, seine Trauer zu überwinden.
Enthusiastisch kam ich daher auf seine Lieblingsprojekte zu sprechen (er geht mit über zwanzig Projekten schwanger, die er leidenschaftlich gerne verwirklichen möchte): seinen Film für seine eigene Produktionsfirma Ajanta Arts, seinen zweiten Film mit Sanjay für Gulshan Rai, seine anderen Filme als Schauspieler. Sunil erwiderte „Hmmm“ und verfiel in Schweigen. Schließlich murmelte zusammenhanglos: „Wofür soll ich denn noch arbeiten?... Mein Herz ist nicht mehr bei meiner Arbeit... Geld, Ruhm, Anerkennung... Wozu brauche ich das?... Für wen?... Geld ist wichtig, ja. Doch Geld an sich kann keine Triebkraft sein, zumindest nicht für mich. Es braucht noch eine andere, stärkere Triebkraft. Aber jetzt ist nichts mehr da, was mich zu Arbeit und Kreativität antreibt...“
Ausnahmsweise wünschte ich mir einen Älteren herbei, der Sunil morgens antreiben und in die Studios scheuchen würde, um die verschiedenen Filme fertigzustellen, die seit einem Jahr auf der Halde lagen. Aber wenn ich ihn hier so ansah, wusste ich, dass das Wunschdenken bleiben würde. Sunil hatte sich schon immer mit einem Übermaß an Problemen auseinanderzusetzen gehabt. Aber diese eine Tragödie hatte wirklich ihren Tribut verlangt.
Sein Bekenntnis, niemanden mehr zu haben, der ihn zur Arbeit antrieb, zeugt davon, wie groß das Gefühl seiner Niederlage ist. Er war stets eine Säule der Stärke. Seine Mutter hatte ihn Balraj genannt, und er trug diesen Namen zu Recht: Er ist wirklich ein König der Stärke.
Das erste Mal, dass sein Name im Druck erschien, war am 1. August 1950 in den Evening News of India. Damals war er ein einfacher Flüchtling aus Pakistan auf der Suche nach einem Lebensunterhalt. Er war am Gateway of India gewesen, als ein Mann ins Meer gestürzt war. Eine riesige Menschenmenge blickte hilflos auf den versinkenden Mann, niemand wagte sich in die vom Monsun aufgepeitschte See. Auch Sunil sah hilflos zu – er konnte nicht schwimmen. Doch schließlich konnte er sich nicht mehr zurückhalten und sprang ins Meer. Sekundenlang starrt ihm der Tod in die Augen, als auch er zu sinken begann. Doch dann entwickelte er übermenschliche Kräfte, bekämpfte Yamadoot (den Gott des Todes), und mit Hilfe eines Seils, das ins Meer geworfen wurde, rettete er den Ertrinkenden. Das war eine verdammt tapfere Tat von ihm, vor allem wenn man bedenkt, dass damals seine Mutter, eine jüngere Schwester und ein Bruder in Yamunanagar (Haryana) auf seine Unterstützung angewiesen waren.
Als er nach der Partition nach Bombay kam, war seine erste Station ein Friseurladen in der Nähe von Regal. Später verdiente er sich bei B.E.S.T. das Geld fürs College. Er arbeitete sich als Schauspieler nach oben, indem er stets das Ungewöhnliche und Ausgefallene versuchte. Und als er nach Reshma Aur Shera in dem schlimmsten finanziellen Desaster steckte, das je ein Schauspieler und Filmemacher erlebt hatte, stellte er sich diesem Desaster mutig und direkt – damals hatte er Nargis an seiner Seite. Mrs. Dutts Glaube an die Fähigkeiten ihres Mannes als Schauspieler und Filmemacher war durch nichts zu erschüttern, und sie war moralisch eine große treibende Kraft.
Dann kam das Jahr 1977 und Sunils erste persönliche Tragödie. Was nur wenige wissen: Sunil liebte seine Mutter außerordentlich, die beiden verband eine starke Liebe und Zuneigung. So sehr, dass Sunil sie mit ihrem Kosenamen anzureden pflegte: Wanto (kurz für Kulwant Devi). Sie erkrankte, wurde ins Breach Candy Hospital eingeliefert, und Sunil verbrachte fast zwei Monate in und vor dem Krankenhaus, saß in einem Stuhl im Wartezimmer oder kettenrauchend draußen in seinem Auto. Er zog sogar in ein nahegelegenes Hotel (Shalimar). Doch schließlich erlag seine Mutter ihrer Krankheit. Ihr Tod traf Sunil zutiefst.
An seinem diesjährigen Hochzeitstag (11. März) hatte ich Sunil Dutt besucht. Er hatte nachdenklich an die Decke gestarrt und geraucht. Eigentlich sollte er dem Muhurat des Films Vidhaata mit Dilip Kumar und Sanjay Dutt beiwohnen, aber er ging nicht hin; seine Frau hatte eine Infektion erlitten. Zwischen den Zügen an seiner Zigarette brachte er einige wenige Sätze zusammen: „Jeder Mann hat Probleme. Alle zwei oder drei Jahre kommt ein Problem, er löst es und macht weiter... Aber das gleiche Problem über sieben lange Monate hinweg zu bekämpfen ist etwas ganz Anderes... Die Unsicherheit über diesen oder jenen Weg... das kann nervenzerfetzend sein...“
Und wenig später fügte er hinzu: „Es ist alles eine Sache des Schicksals. So wie einige Menschen zu mehr und andere zu weniger Reichtümern bestimmt sind, sind einige zu mehr und andere zu weniger Leiden bestimmt. Und ich gehöre zu denen, die zu mehr Leiden bestimmt sind.“
Die unbehagliche Stille, die sich über das Haus ausgebreitet hatte, kam nicht einfach nur daher, weil es Nargis nicht gut ging. Nargis war die Hauptquelle für allen Lärm und alles Leben dort gewesen. Eine zugängliche, erdverbundene, spontane Dame mit einer unbändigen Lebensfreude. Sie konnte im Alleingang Leben in jede Party bringen und verbreitete schallendes Gelächter, wenn sie anzügliche Witze erzählte, ohne dabei vulgär zu klingen. Einmal hatte sie, als Sunil jemanden ausschimpfte, mit spitzbübischer Miene vergnügt kommentiert: „Hört, hört! Er spricht Angrezi. Immer wenn Dutt saab wütend ist, spricht er Englisch.“ Und Raj Grover hatte sie im Scherz gescholten: „Schaut ihn an. Kommt immer hierher, wenn er telefonieren will, und schont damit seine eigenen Telefonrechnungen, der gerissene Kerl.“
Auch als Schauspielerin war sie sehr spontan. Sie konnte mit den Mädchen am Set lachen, scherzen und kichern und im nächsten Moment eine intensive, emotionsgeladene und zu Tränen rührende Szene hinlegen. Genaugenommen war das ein Grund, warum sie nicht viele Filme mit Schauspielern wie Dilip Kumar machte, die, wenn sie eine ernste Rolle spielen, am liebsten den ganzen Tag über ernst bleiben. Und es war Nargis’ spontane und extrovertierte Persönlichkeit, die immer Leben ins Haus brachte.
Heute kümmert sich Anju um das Haus, die ältere Tochter und derzeit der gefassteste und verantwortlichste Mensch im Haus. Als Monate zuvor Sunil Dutt seine Kinder von New York aus angerufen und gebeten hatte, sofort zu kommen, war Panik im Haus ausgebrochen. Doch Anju, obwohl noch ein Teenager, hatte kühlen Kopf bewahrt, für alle Fälle Vorkehrungen getroffen und dafür gesorgt, dass das Personal in ihrer Abwesenheit gut versorgt war.
Not und Unglück lassen einen Menschen enorm reifen. Heute sind die jungen Dutts in ihrem Verhalten und Wesen ihrem Alter weit voraus. Auch dieses Problem hatte Sunil selbst erlebt: Er hatte seinen Vater bereits mit sechs Jahren verloren. Und während der Partition war er von seiner Familie getrennt worden. Ein geradezu einzigartiger Zufall hatte die Familie in Ambala wieder zusammengeführt. Als ältester Sohn ging er dann nach Bombay, um Geld für seine Familie zu verdienen. Er war damals noch ein Teenager.
Mrs. Dutt starb am Sonntag, dem 3. Mai frühmorgens. Am Samstag, dem 2. Mai war ich am späten Nachmittag noch mit Sunil zusammengesessen. Aus unerfindlichen Gründen hatte er über die prosaischsten Dinge gesprochen. Hatte gefragt, ob es wahr sei, dass Vinod Khanna sich von seiner Familie trennen wollte, und es kaum glauben wollen, dass es Dinge wie Trennung und Scheidung in dieser Welt überhaupt gibt. Hatte erzählt, wie Mrs. Dutt sich in New York über den Film Love Story erkundigt und Sunil gebeten hatte, ein Gratulationstelegramm an Rajendra Kumar zu schicken (Nargis, Sunil und Rajendra hatten in Mother India zusammengearbeitet). Hatte sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass die Premiere ohne die geplanten Festivitäten stattfinden würde: „Als wir den Film lancierten, hatten wir (Sunil und Nargis) so viele Visionen, wie wir den Release gestalten wollten – die Partys, die Zusammenkünfte und so vieles mehr.“
Schließlich nahm ich meine ganze Kraft zusammen und fragte ihn nach Mrs. Dutts Gesundheitszustand. Er hob abwehrend die Hände hoch und sagte: „Jeden Moment... in der nächsten Stunde... morgen... ich weiß nichts... ich kann nichts sagen...“
Es folgte eine lange Stille, dann sagte er mit erstickter Stimme aus tiefstem Herzen: „Gott ist sehr grausam zu ihr gewesen.“ Aber erst beim nächsten Satz bekam ich wirklich Gänsehaut. Er sagte: „Warum hat er sie damals (in New York) gerettet, nur um sie nun so zu quälen? Er hat sie überleben lassen, als es unmöglich schien. Warum? Warum? Nur damit er sie nun noch mehr leiden lassen konnte? Unmenschlich. Er war wirklich sehr grausam zu ihr. Manchmal geschehen Dinge, die den Glauben eines Menschen wirklich erschüttern können.“
Sunils Fall ist voll verständlich. Es gibt wahrscheinlich keinen Gott, an den er sich nicht gewendet hatte, den er nicht gebeten und angefleht hatte. Und sicher hat er niemals zuvor so verzweifelt und leidenschaftlich zu Gott gefleht. Alles, worum er ihn bat, war, dass Nargis überlebte. Doch Gott beschloss, ihm diese aufrichtige Bitte nicht zu erfüllen. Gott sei verdammt dafür.
Doch Sunil wird Gott auch jetzt nicht verleugnen. Er folgt noch immer zweien von ihnen. Mrs. Dutt wurde nach muslimischen Riten beigesetzt, verbunden mit zu Hause durchgeführten hinduistischen Gebeten. Jeden Morgen findet ein aarti statt. Am 9. Mai kamen die muslimischen moulvis ins Haus, um das übliche Qoran Shani durchzuführen. Am 10. Mai brach Sunil nach Hardwar auf, wo an sich die Asche verstreut werden müsste. Doch in diesem Fall hatte er eine Handvoll Erde von dem Friedhof dabei, die er in den Ganges streute. Danach begibt er sich nach Yamunanagar, wo das hinduistische Kriya Karam im Namen der Verstorbenen durchgeführt wird. Und nach seiner Rückkehr nach Bombay stehen dann die Riten zum 40. Tag nach dem Tod gemäß der muslimischen Gesetze an.
Es wird eine ganze Weile dauern, bis das Leben wieder in einigermaßen normalen Bahnen verlaufen wird. Was zählt der Verlust der Millionen, die Sunil vergeblich für die Behandlung von Nargis ausgegeben hat – der Verlust der Frau, die er so innig geliebt hat, ist niemals zu verschmerzen. Nach wie vor treffen von allen Seiten Beileidsbekundungen ein. Und die Sprüche von Älteren und Weisen darüber, dass wir Sterblichen keine Kontrolle über Leben und Tod haben. Und Sunil starrt sie mit blanken Augen an. Ich kann seine Gefühle voll verstehen.
Worte sind so nichtig und Philosophien so bedeutungslos in einer Zeit wie dieser...
(Deutsch von Diwali)
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