Zur Story: Rana Jaywardhan (Boman Irani), König von Devigarh in Rajastan, ist zeugungsunfähig. Daher hatte er einst, wie es die Tradition gebietet, seine Frau Suhasinidevi (Sharmila Tagore) zu einem Weisen geschickt, um von ihm einen Erben zeugen zu lassen. Erst als sie Jahre später im Sterben liegt, entdeckt der König, dass ihre Zwillinge Nandinidevi (Raima Sen) und Harshwardhan (Saif Ali Khan) nicht von einem fremden Weisen, sondern von seinem „wertlosen Palastwächter“ Eklavya (Amitabh Bachchan) gezeugt worden sind, dem die Rani damals ihr Vertrauen geschenkt hatte. Er tötet seine Frau und bedroht Eklavyas Leben. Doch stattdessen fällt er selbst einem Mordanschlag durch seinen jüngeren Bruder Jyotiwardhan (Jackie Shroff) und dessen Sohn Udaywardhan (Jimmy Shergill) zum Opfer; der mittlerweile fast blinde Eklavya kann den Mord an seinem verehrten König nicht verhindern. Während der respektlose Inspektor Pannalal Chohar (Sanjay Dutt) sich des Falls annimmt, wird Eklavya von seinem eigenen Sohn Harsh in die Verbannung geschickt. Harsh träumt davon, mit seiner Jugendliebe, der Dienerin Rajjo (Vidya Balan), ein neues Leben zu beginnen. Eklavya indessen ist entschlossen, seine Pflicht gegenüber dem Königshaus zu erfüllen und den Mord an seinem König zu rächen...
Mahabharata meets Shakespeare. Tradition kollabiert mit Gegenwart. Und über allem die ethische und religiöse Pflicht, das Dharma. Eklavya (ursprünglich Yagna betitelt) ist ein Film über Werte und Gegensätze, erzählt in kraftvollen und wunderschönen Bildern eine Geschichte, die einer historisch-märchenhaften Vergangenheit entnommen scheint und dennoch – wie spätestens mit dem ersten Auftritt von Pannalal Chohar radikal ins Bewusstsein gerückt wird – in unserer heutigen Gegenwart spielt, in der Könige keine Regierungsgewalt mehr haben und lediglich noch den ihnen untergebenen Bauern Ärger bereiten können, während Unberührbare wie Pannu Chohar sich zu Polizeichefs hocharbeiten und ihren ehemaligen Herren nun mit respektlosem Selbstbewusstsein gegenübertreten. Die Szene, in der Pannu dem arroganten König auf dessen „Wir regieren hier schon seit 2000 Jahren“ ungeniert mit „Und wir leiden hier schon seit 5000 Jahren“ antwortet, gehört denn auch zu den nachhaltigsten in diesem Film.
Die Bildsprache des Films ist sagenhaft schön. Prächtige Locations, wunderbare Farben und starke Detailaufnahmen – Kameramann N. Natarajan Subramanian zaubert Bilder, dass man meinen möchte, Santosh Sivan habe Paheli II gedreht. Sie unterstreichen die ruhige und konzentrierte Erzählweise von Vidhu Vinod Chopra, die manchmal leider etwas zu konzentriert ist. So sehr man es begrüßt, wenn Details nicht unnötig ausgewalzt werden, um einen Film künstlich zu verlängern, aber Chopra setzte die Walze z.T. gar nicht erst an. Darunter leiden vor allem die Figuren des neidischen Königsbruders und seines Sohnes, deren Antipathie gegen den König lediglich als existent und für die Dramaturgie der Handlung eben notwendig vorgesetzt, aber nicht weiter erklärt oder ausgebreitet wird. Dass der intrigante Jyoti unter solchen Umständen nicht zum eindimensionalen 0815-Schurken verkommt, ist den darstellerischen Fähigkeiten Jackie Shroffs zu verdanken, dem es in seiner wenigen Screentime sogar gelingt, seiner Figur noch einen Hauch Menschlichkeit mitzugeben. Jimmy Shergill dagegen scheiterte bei seinem Versuch, einmal den bösen Mann zu spielen; selbst wenn er finster dreinblickt, sieht er immer noch zu nett aus, so dass man ihm den Mistkerl einfach nicht abkaufen will.
Etwas mehr Konturen bekam die Figur des Königs ab, den Boman Irani – sehr gekonnt Shakespeare-Sonette zitierend – als undurchschaubaren, unentschlossenen und dennoch unterschwellig gefährlichen Charakter anlegt. Sharmila Tagore als seine Frau kommt kaum vor, und es ist sehr schade, dass ihr keine gemeinsame Szene mit ihrem Sohn Saif Ali Khan vergönnt war. Der hinterließ einen etwas zwiespältigen Eindruck: Über weite Strecken inspirierte ihn der Königssohn Harsh nur zu bestenfalls soliden Leistungen, was besonders fatal in Gegenwart der beiden starken Frauen Vidya Balan und Raima Sen auffiel, die ihn mit ihrer Präsenz beinahe an die Wand spielten. (Raima Sen gebührt dabei ein Sonderlob für ihre von jedem Overacting freie Darstellung der geistig behinderten Prinzessin Nandini.) Dafür lief Saif in seinen Szenen mit Amitabh Bachchan zu Hochform auf; in seinen Auseinandersetzungen mit ihm ist er wirklich gut und zeigt die Leistung, die man von ihm als Schauspieler mittlerweile einfach erwarten darf.
Amitabh in der Titelrolle ist natürlich Dreh- und Angelpunkt des Filmes und spielt den alternden, fast blinden und noch ganz in der Vergangenheit lebenden Palastwächter souverän und mit starker Eindringlichkeit. Auffallend ist, wie oft sich Chopra einzig auf die gestalterische Kraft von Amitabhs Stimme verlässt, ob bei der Briefszene am Anfang, erzählerischen Passagen zwischendrin oder bei der Abrechnung mit Uday (bei der Chopra – kleiner Insidergag – im Hintergrund auf einer Kinoleinwand seinen frühen Erfolgsfilm Parinda laufen lässt). Durch sie wirken selbst die Szenen, in denen über Dharma und Pflichterfüllung doziert wird, nicht übertrieben didaktisch, und zum Glück greift Saif diesen Tonfall Amitabhs auf und spinnt ihn weiter, weswegen die große Schlussauseinandersetzung der beiden zwar hart, aber dennoch souverän am Kitsch vorbeischrammt.
Und Chopras Geheimwaffe gegen jeden eventuellen Kitschanflug des Filmes ist ohnehin Sanjay Dutt. Ein Unberührbarer, der seinem Begleiter die Palastmauer zeigt, in der sein Großvater einst von den Königen als ein Glücksbringer lebendig eingemauert worden war – und das nicht voll triefender Emotion, sondern mit einem geradezu staubtrockenen „ich-scheiß-mich-um-nichts“- Humor: das bringt so einfach nur Sanju fertig. Der einzige Mann, den dieser Selfmade-Man vorbehaltlos bewundert, ist Eklavya, dem er in ihrer ersten Szene mit einer herrlich kindlich-freudigen Aufgeregtheit gegenübertritt, was ihre spätere Auseinandersetzung umso heftiger wirken lässt. Sanjus Rolle ist zwar klein (wobei: so viel mehr haben z.B. Jackie und Jimmy auch nicht zu tun), aber liebenswert, und Sanju spielt sie rundum perfekt. Da ist es nur gerecht, dass er es ist, der am Ende der Geschichte einen geradezu köstlichen Schlusspunkt setzen darf. (Davon abgesehen, dass Sanju in seiner freundschaftlichen Verbundenheit mit Vinod notfalls vermutlich sogar ohne zu murren den Kameltreiber in Eklavya gespielt hätte.)
Es ist wirklich schade, dass nach 107 Minuten alles schon wieder vorbei ist. Man hätte von dieser Geschichte gerne mehr gesehen, ebenso mehr bildlich so wunderbare Szenen wie die mit der Taube oder die Rückblende Eklavyas aus dem Wasser heraus. Aber das schmälert den Genuss nur geringfügig. Eklavya ist ein ruhiger, schöner Film mit großartigen Bildern und einem Star-Ensemble, das kaum Wünsche offen lässt. Eine Mischung aus Paheli und Parineeta. Und in jedem Fall sehenswert.
Produktion und Regie: Vidhu Vinod Chopra
107 Min.; DVD: Eros, englische UT (inkl. Song)
P.S. Eklavya wurde als Indiens offizieller Kandidat für den Oscar nominiert.
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