Mittwoch, 16. Mai 2007

Stardust 11/1984: "I want to live!"

Stardust, November 1984

„I want to live!“
Sanjay Dutts erster Gefühlsausbruch nach seiner Drogenbehandlung

Sanjay Dutt nach beinahe zehn Monaten wiederzubegegnen war für mich eine emotionale Erfahrung. Seit knapp anderthalb Monaten war er nach seiner ausgiebigen Drogenbehandlung zurück aus den USA. Seitdem hörte ich immer wieder, wie gut er aussehe, wie er diesmal endgültig von Alkohol und Drogen losgekommen sei und wie er intensiv an seiner Fitness arbeite, um in die Filmarena zurückkehren zu können. Außerdem erzählte man mir, dass Papa Sunil Sanju baba angeordnet habe, sich der Presse fernzuhalten und keinerlei Kommentare abzugeben.

Zufällig begegnete ich Sanjay im Sea Rock Hotel in Bandra. Er hatte gerade ein Squash-Match beendet und sich mit einem Zitronensaft neben dem Pool ausgestreckt. Rote Joggingshorts, ein in die Hose gestecktes T-Shirt, ein rotweißes Band, das sein verschwitztes seidiges Haar davon abhielt, ihm ins Gesicht zu fallen, klare braune Augen und ein großes, warmes Lächeln – könnte eine Frau sich mehr wünschen? Er sprang auf, schloss mich fest in die Arme, neckte mich wegen meiner überflüssigen Pfunde und flüsterte: „Wo warst du denn? Ich muss mit dir reden.“

Die Stardust war das erste (und einzige) Magazin gewesen, das in einem Artikel über seinen Abflug in die Staaten berichtet hatte, und auch nun war es die Stardust, die Sanjay Dutt für sein erstes intimes und tiefgehendes Interview über seine Behandlung und Heilung auserwählt hatte („mit den anderen rede ich dann später“). Er posierte für ein paar Fotos auf dem Rasen vor seinem Bungalow, und dann setzten wir uns zusammen, um zu reden. Er sah, wie mein Blick an einem großen Schwarzweiß-Porträt von Mrs. Nargis Dutt hängenblieb, und sagte weich: „Sie muss wirklich glücklich sein da oben, mich jetzt so zu sehen.“ Im Gegensatz zu früher, als sich seine Augen schon mit Tränen gefüllt hatten, wenn nur der Name seiner Mutter erwähnt wurde, schien Sanjay seine Gefühle mittlerweile unter Kontrolle zu haben. Und in diesem Fall war nicht die Zeit der Heiler (es ist gut drei Jahre her seit Mrs. Dutts Fortgang). Es war seine Behandlung in den USA, die Sanjay gelehrt hat zu leben! „Es war sehr schwierig, mich der Tatsache zu stellen, dass meine Mutter nicht mehr da war, aber sie haben mich dazu gezwungen,“ erklärte er. „Lass mich ganz von vorn beginnen.“

„Ich hatte verzweifelt versucht, von meiner Sucht loszukommen. Ich wollte die Drogen ein für allemal aufgeben, aber irgendwie gelang es mir einfach nie,“ begann er. Seine Familie machte sich große Sorgen um ihn und drängte ihn, sich in den USA behandeln zu lassen, doch einmal mehr nahm Sanjay das Problem nicht in die Hand und versuchte auch nicht ernsthaft genug, es zu lösen. „Wenn ich damals darüber nachdachte, was die Drogen aus mir und meinem Leben machten, dann fühlte ich mich scheußlich und wollte unbedingt etwas dagegen tun,“ erklärte er. „Aber dieses Gefühl war immer nur vorübergehend. In dem Moment, wo ich wieder Drogen zu mir nahm, war das alles vergessen. Mein Vater wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Meine Schwestern waren verzweifelt. Ich war dabei, mich umzubringen.“

Eines Tages führte Sunil Dutt ein langes Gespräch mit seinem Sohn. „Er fragte mich geradeheraus, ob ich wirklich von den Drogen loskommen wollte,“ erzählte Sanjay. „Als ich zustimmend nickte, sagte er, ich müsse für meine Heilung bereit sein, jeden noch so weiten Weg zu gehen. Daraufhin begab ich mich ganz und gar in seine Hände. Als es hieß, ich würde für einen Monat in ein Krankenhaus nach Miami kommen, stimmte ich zu.“

Sanjay Dutts Behandlung begann im Dezember des vorigen Jahres mit seiner Einlieferung in das Breach Candy Hospital in Bombay. „Das war am 27. oder 28. Dezember. Ich wurde auf kompletten Drogen- und Alkoholentzug gesetzt,“ erinnerte er sich. „Die Entzugserscheinungen waren furchtbar. Ich hatte schlimme Schmerzen im ganzen Körper, bekam Magenkrämpfe, schwitzte und zitterte wie verrückt und bekam sogar Zuckungen. Schon der bloße Gedanke daran macht mir jetzt noch Angst. Ganz offen gesagt: In diesem Moment war ich drauf und dran, alles hinzuschmeißen. Ich verfluchte mich selbst, dass ich mich zu dieser Behandlung hatte überreden lassen. Natürlich hatte ich all das schon früher erlebt, bei meinen verschiedenen Versuchen, die Sucht aufzugeben, aber dieses Mal war es schlimmer als sonst. Aber mehr noch als ich selber wachte meine Familie darüber, dass ich diesmal keinen Rückzieher machte.“

Nach einer Woche im Breach Candy Hospital flog Sanjay nach Miami. „Ich wohnte einen Tag lang bei einem Freund, danach brachte man mich direkt ins South Miami Hospital,“ fuhr Sanjay fort, während er an einer Zigarette zog. „Außer meiner Familie durfte mich dort niemand besuchen. Wir hatten Gruppentherapien, medikamentöse Behandlungen, Entgiftungen etc., und am Ende eines mörderisch-zermürbenden Monats freute ich mich schon darauf, wieder nach Hause zurückzukehren. Ich bildete mir ein, geheilt zu sein.“

Seine Ärzte hatten andere Pläne für ihn. Sie rieten seinem Vater, Sanjay zu einer Langzeittherapie nach Jackson, Mississippi zu schicken. „Sein Problem sind nicht nur die Drogen, er ist außerdem ein Alkoholiker.“ Diese Worte empfand Sanjay damals wie eine Ohrfeige. „Ich habe kein Alkoholproblem,“ schrie er, als sein Vater ihn zu der Behandlung in Mississippi zu überreden versuchte. „Ich trinke, weil ich Alkohol mag. Aber ich bin nicht süchtig danach. Wenn ich will, kann ich der Versuchung zu trinken jederzeit widerstehen. Ich gehe nirgendwo hin, außer nach Hause.“ Als Sunil Dutt und Sanjays Sponsor David versuchten, mit ihm zu räsonieren und ihn dazu zu bewegen, auf den Rat der Ärzte zu hören, türmte Sanjay. „Ich weiß wirklich nicht, wie mir damals geschah, jedenfalls kaufte ich mir ein Flugticket und flog um neun Uhr morgens nach Washington,“ gestand Sanjay verlegen. „Ich fuhr zur Wohnung eines Freundes, eines Inders, der dort lebte und der mich schon seit Jahren kannte. Er war bereits verständigt worden, dass ich aus Miami abgehauen war, und wartete gewissermaßen schon auf mich. Nun versuchte auch er, mich zur Vernunft zu bringen. Er sagte mir, dass dies meine letzte Chance sei; wenn ich mich jetzt nicht in den Griff bekäme, würde ich sterben. Aber ich blieb verstockt. Mein Vater sah keinen Sinn mehr darin, mit mir darüber zu reden, und gab das Thema auf. Wir redeten über andere Dinge, gingen miteinander aus, und dann plötzlich, aus heiterem Himmel, etwa um neun Uhr abends bat ich ihn, mir mein Ticket nach Miami zu besorgen – ich war bereit, zurückzukehren.“

Zurück in Miami, versuchte sein Sponsor David noch einmal, ihn zu der sechsmonatigen Therapie in Jackson, Mississippi zu überreden: „Mach es, sonst stirbst du, Mann!“ sagte er. „Und von da an weigerte er sich, weiter auf mich einzureden. Da ich an unsere indische Art des beständigen Nachbohrens gewöhnt war, wartete ich auf seinen nächsten Versuch, mich dazu zu bringen, meine Meinung zu ändern. Als der nicht kam, fühlte ich mich verletzt. Erst sagt er, dass ich sterbe, wenn ich nicht nach Mississippi gehe, und dann ist es ihm egal, dachte ich für mich. Und in dem Moment erkannte ich, dass niemand außer dir selbst sich wirklich um dich kümmert. David fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als ich ihm mitteilte, dass ich mich zu der Langzeittherapie entschlossen hatte.“

Aber auch wenn Sanju sich für die Therapie in Jackson entschieden hatte – mit der Tatsache, ein Alkoholiker zu sein, konnte er sich immer noch nicht abfinden. „Allein schon der Gedanke, ich könnte einer sein, war verstörend,“ bekannte er. „Das Problem beim Alkohol ist, dass nur ganz wenige Menschen es begreifen, wenn sie tatsächlich abhängig sind. Es hat eine ganze Weile gebraucht, bis ich die Tatsache akzeptierte, dass ich nicht nur drogensüchtig, sondern auch noch Alkoholiker war.“ Es war auf dem Flug nach Mississippi, als diese Wahrheit ihn wie ein Schlag traf. „Ich hatte beschlossen, keinen Alkohol anzurühren,“ erzählte er mit entwaffnender Ehrlichkeit. „Aber sobald ich das Zeug sah, wollte ich es. Meine Widerstandskraft, von der ich so groß getönt hatte, war nicht existent. Ich erlag meiner Versuchung, und als ich in Georgia, Atlanta umstieg, hatte ich bereits einige Drinks intus. Beim nächsten Flug versuchte ich erneut, die Finger von der Flasche zu lassen. Ohne Erfolg. Und als ich am Mississippi Airport landete, war ich blau. Eine Dame von der Klinik war gekommen, um mich abzuholen, und ich versuchte verzweifelt, vor ihr zu verbergen, dass ich voll wie eine Haubitze war. Ich wandte mich von ihr ab, damit sie meine Fahne nicht riechen konnte, versuchte mich beim Gehen geradezuhalten etc. Aber natürlich hatte die Dame schon mit Hunderten von Menschen wie mir zu tun gehabt und erkannte mein Problem sozusagen auf Anhieb.“

Sie brachte ihn direkt in einen Raum voller Männer und Frauen, die dabei waren, sich von ihrer Alkoholsucht zu erholen. Sie lachten laut, als sie einander von ihren erniedrigenden Erlebnissen und den Traumata erzählten, die sie während ihrer Alkoholphase durchgemacht hatten. „Sie sahen so glücklich aus,“ erinnerte sich Sanjay. „Und sie schauten mich an mit Mitleid in ihren Augen. Ich fühlte mich beschissen. Ich wollte nur noch weglaufen. Ich schämte mich bis ins Mark, als ich versuchte, so zu tun, als sei ich gar nicht betrunken. Und in aller Augen stand deutlich zu lesen: ‚Komm runter, Mann, mach hier keinen Scheiß, wir wissen genau, dass du besoffen bist.’ In dem Moment wollte ich einfach nur sterben. Ich fühlte mich so gläsern. Sie konnten mich komplett durchschauen. Ich wollte so sein wie sie – sorglos und glücklich. Und ich vermute, genau das war es, was die Dame erreichen wollte.“

Dennoch brachte Sanjay es nicht über sich zu akzeptieren, dass er sechs Monate an diesem Ort bleiben sollte – so sehr er es auch versuchte. Er verkündete, er würde maximal zwei Monate bleiben und keinen Tag länger. Sein Suchtbetreuer Jack McCormick stimmte zu. „Jack war die Sorte Mann, die man vom ersten Augenblick an hasste – groß, muskelbepackt und tödlich,“ bekannte Sanjay. „Er ließ sich von niemandem etwas gefallen, stattdessen knöpfte er sich jeden gnadenlos vor, der irgendwie zu schummeln versuchte. Jeder hatte Angst vor ihm – und lernte ihn mit der Zeit zu lieben. Für mich ist er ein großartiger Mensch, den ich niemals werde vergessen können.“

Sanjay wurde zusammen mit sechs anderen Jungs in einem Wohnwagen einquartiert. Als sein Vater Sunil Dutt kam, um seinen Sohn zu besuchen, erklärte man ihm ohne Umschweife, er solle ihn alleine lassen: „Wir kümmern uns hier schon um ihn, wir erlauben keine Besucher.“ Sunil wollte keinen Streit mit den Obrigkeiten und vor allem nur das Beste für seinen Sohn – und ging. „Ich fühlte mich furchtbar,“ erinnerte sich Sanjay. „Mein Leben lang war ich immer von irgendjemandem abhängig gewesen. Zuerst war es meine Mutter, dann meine Freundinnen, dann meine Schwestern und mein Vater. Ich wusste nicht, wie ich überleben sollte, ohne mich an jemanden anzulehnen. Ich fühlte mich entsetzlich allein und verängstigt, und das Leben da drüben war nicht leicht.“

„Der Wohnwagen, der sechs Monate lang mein Zuhause sein sollte, war zwar sehr komfortabel, mit Klimaanlage, Fernseher, Teppichboden etc. Aber es gab keine Haushaltshilfe – wir sollten alles selber machen: kochen, Fußböden wischen, staubsaugen, Geschirr spülen – scheiße, alles Dinge, die ich noch nie in meinem Leben gemacht hatte. Und ich war wild entschlossen, gar nicht erst damit anzufangen. Aber sie brachen mein Ego in Stücke und machten mir klar, dass ich hier kein Star, sondern ein Niemand war: ‚Du bist ein Junky und nicht der Sohn eines Schauspielers.’ Und schließlich musste ich tun, was man mir sagte.“

Die allererste Aufgabe, die ihm zugewiesen wurde, war das Kochen. „Ich flehte sie an, mir etwas anderes zu tun zu geben,“ lächelte er, als er diese Erfahrung noch einmal durchlebte. „Ich konnte nicht kochen, ich wusste nicht einmal, wie man ein Ei zubereitet. Aber niemand erhörte mein Flehen. Schließlich machte ich Pfefferhuhn. Es war eine Katastrophe und schmeckte scheußlich, ich brachte keinen Bissen runter. Aber zu meiner Verblüffung machten sich die anderen darüber her. ‚Es ist toll,’ sagten sie, als sie sich zwangen, das Zeug runterzuschlucken, um mir Mut zu machen. Ich war wahnsinnig gerührt. Sie aßen es tatsächlich auf und kochten danach etwas Anständiges für mich. Das war unser erster Schritt zu einer dauerhaften Freundschaft.“

Sanjay notierte damals im Geiste, seine Schwester Namrata zu bitten, ihm ein paar indische Rezepte zu schicken, die er für seine Freunde kochen konnte. „Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich, was Freundschaft wirklich war,“ sagte er mit vor Emotionen erstickter Stimme. „Diese Jungs haben sich wirklich um mich gekümmert. Wir haben einander geliebt und hätten jederzeit unser Leben für das der anderen gegeben.“ Damals wurde Sanjay auch endlich klar, dass die Menschen, die sich hier einer Behandlung unterzogen, keine drittklassigen Hippies waren. Viele waren berufstätig, kamen aus normalen Familien, und die meisten waren vermögend. „Hier in Bombay war ich ein Einzelfall, aber da drüben ist das ein ernsthaftes Problem. In der Klinik waren Chirurgen, Architekten, Musiker, Anwälte, Ärzte, Ingenieure etc. Einer meiner engeren Freunde war einer der besten Chirurgen Atlantas, der morphinsüchtig war.“

Niemand bekam Medikamente; die Behandlung war eine rein mentale Therapie. Der Tag begann sehr früh. „Wir waren ungefähr dreißig, etwa sechs Mädchen und der Rest Jungs,“ erzählte er. „Nach Verrichtung unserer morgendlichen Hausarbeiten mussten wir uns um neun Uhr im Zentrum melden. Dann hatten wir bis vier Uhr Nachmittags Gruppentherapie. Zweimal in der Woche mussten wir zu Sitzungen in die Stadt gehen.“ Die Klinik lag auf dem Land, weit entfernt von jeder Zivilisation. „In der Nähe war ein See, zu dem wir oft zum Fischen gingen. In Sachen Besucher waren sie zwar sehr streng, aber wir durften in die Stadt gehen, um unsere Lebensmittel zu kaufen oder auch mal ins Kino zu gehen.“ Jeder bekam zwanzig Dollar pro Woche ausgehändigt, und das musste vom Essen über Pflegeprodukte bis zum Privatvergnügen für alles reichen. „Zu siebt hatten wir also 140 Dollar pro Woche, und wir stellten stets einen genauen Haushaltsplan auf und gingen dann einkaufen. Wenn wir dann in die Stadt gingen, waren die Versuchungen natürlich da, aber jeder passte auf den anderen auf. Wenn einer sich heimlich einen Drink genehmigte, dann mussten wir das dem Betreuer melden. Wir fassten das nicht als Verrat oder Petzen auf; uns war eingedrillt worden, dass wir dadurch einem Freund Hilfe leisteten. Dadurch wurden wir extrem beschützerisch den anderen gegenüber. Wann immer einer von uns die Behandlung als zu große Strapaze empfand und alles hinschmeißen wollte, haben die anderen ihm das sofort ausgeredet.“

Mehr als alles andere lehrte man sie, Gott zu fürchten und die Wahrheit zu sagen. „Als ich sie das erste Mal über Gebete und Gott reden hörte, war ich sehr irritiert über diesen spirituellen Unsinn,“ seufzte Sanjay. „Ich hielt das für Zeitverschwendung. Aber schon bald erkannte ich, wie wichtig Gebete im Leben eines Menschen sind. Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich zu beten. Und ich denke noch immer jede Nacht im Gebet an meine Freunde und wünsche, dass sie nie wieder ihrer früheren Sucht verfallen.“ Was Ehrlichkeit betrifft, so verriet Sanjay offen, dass das Lügen das größte Laster eines Drogensüchtigen ist. „Du hast mich so oft interviewt und kennst mich so gut,“ betonte er nachdrücklich. „Und du weißt auch, wie oft ich dich radikal belogen habe. Ich weiß noch, wie du mich sogar einen zwanghaften Lügner genannt hast, während ich schwor, dir die Wahrheit zu sagen. Ich erinnere mich auch an den Ausdruck der Erbitterung in deinem Gesicht, aber damals war mir das gleichgültig. Doch du hattest hundertprozentig Recht. Ich war ein zwanghafter Lügner. Ich log über einfach alles. Ich log sogar, wenn es gar keinen Grund dazu gab. Nur ganz selten sagte ich die Wahrheit. Jeder Drogensüchtige geht durch diese Phase, und auch ich habe sie durchlebt. Doch da drüben brachte man uns dazu, die Wahrheit zu sagen. Unsere Berater waren selber ehemalige Drogensüchtige, und sie nagelten uns selbst beim kleinsten Versuch einer Lüge sofort fest. Es war verdammt schwierig, ehrlich zu sein, aber nicht unmöglich. Heute finde ich, dass es das Leben sehr viel einfacher und unkomplizierter macht.“

Während ihrer Gruppentherapien mussten sie sich öffnen und über ihre Probleme reden. „Mein Betreuer wusste, wie extrem nahe ich meiner Mutter gestanden war,“ erzählte er offen und ehrlich über sein persönlichstes Problem. „Und er merkte auch, dass ich einen Todeswunsch mit mir herumtrug, um ihr folgen zu können, wo immer sie auch war. Es hat eine Menge Sitzungen gebraucht, um mir bewusst zu machen, dass meine Mutter zwar tot war, dass ich jedoch leben musste. Sie ist fort und wird nie zurückkehren, aber das bedeutet nicht, dass ich mich auch umbringen muss. Man versicherte mir, dass es auch meine Mutter sehr glücklich machen würde, mich geheilt zu sehen. ‚Mach es zuerst für dich, und dann für deine Mutter,’ sagten sie. Das war bestimmt nicht das erste Mal, dass man mir so etwas nahe legte, aber zum ersten Mal drang es mir wirklich ins Bewusstsein und machte Sinn.“ Was weder Ärzte und Freunde noch sein Vater und seine Schwestern geschafft hatten, gelang diesem Betreuer: Er brachte Sanjay dazu, nach ganzen drei Jahren endlich über den Tod seiner Mutter hinwegzukommen.

„Du wirst es nicht glauben,“ fuhr Sanjay fort, „aber als ich in Jackson landete, waren keinerlei Gefühle mehr in mir.“ Ich hatte Sanjay stets als sehr emotionalen Menschen empfunden und wollte daher diese Aussage nicht akzeptieren. Er stand auf, ging in sein Zimmer und kehrte mit einem Stapel von Schreibblöcken zurück. „Ein Drogensüchtiger hat nur ganz wenige Gefühle, und fast immer sind es negative Gefühle,“ sagte er. „Wir sollten jede Woche unsere Gefühle in diesen Blöcken aufschreiben.“ Er schlug die erste Seite auf und zeigte mir die drei Gefühle, die er notiert hatte – Frustration, Wut und Hass. „Alle drei sind negativ,“ betonte er. Ein paar Tage lang ging das so weiter, bis dann allmählich auch andere Gefühle wie Liebe, Zufriedenheit, Mitleid, Rücksicht etc. auf den linierten Seiten seines Übungsblockes auftauchten. Gegen Ende der Behandlung hatte er jeden Tag beinahe zwei Seiten mit seinen Gefühlen vollgeschrieben.

Sanjay verriet, dass man ihm nach zwei Monaten tatsächlich mitteilte, dass die Türen ihm nun offenstünden und er gehen könne – doch dass er nun darauf bestand, die Therapie zu beenden. Seine Familie war begeistert, als sie von seinem Entschluss erfuhr, ebenso sein Betreuer: „Ich bin zuversichtlich, dass du es schaffst,“ sagte er zu ihm.

Weder seine alten Freunde (Kumar Gaurav und Kishore Bajaj) noch seine Familie hatten die gleiche Zuversicht, als er (vier Monate später) am Bombay Airport landete. „Ich konnte die ängstliche Spannung in ihren Augen sehen,“ lachte Sanjay. „Und sie hatten auch allen Grund, sich meinetwegen unsicher zu fühlen. Es war ja nicht das erste Mal, dass ich ihnen erzählt hatte, ein für allemal den Absprung geschafft zu haben. Aber zum ersten Mal war ich mir selbst wirklich sicher, dass ich nie wieder einen Rückfall erleiden würde. Ich wusste, dass ich unter Beobachtung stand. Nicht nur durch sie, sondern auch durch die Industrie. Nein, ich fühle mich nicht schlecht deswegen. Ich habe mich früher meinen Produzenten gegenüber unmöglich benommen. Ich habe Drehtermine abgesagt, bin zu spät zur Arbeit gekommen, hing zugedröhnt am Set rum... Ich schäme mich für alles, was ich damals gemacht habe. Manchmal, wenn ich an all die schrecklichen Ereignisse denke, in die ich verwickelt war, erscheint mir alles völlig irreal. Wie konnte ich das nur tun?“

„Ich bin jetzt schon seit zwei Monaten wieder hier und habe in all dieser Zeit nicht einmal einen Tropfen Alkohol angerührt. Und das werde ich auch nicht. Ich habe zuviel zu verlieren. Ich will meine Familie niemals verletzen. Sie sind wegen mir durch die Hölle gegangen, das will ich wiedergutmachen. Davon abgesehen, dass ich auch dieses Glücksgefühl nie wieder verlieren will. Ich bin noch nie so glücklich und zufrieden gewesen. Ich wäre nicht nur ein Narr, wenn ich wieder den Drogen verfallen würde, es wäre außerdem mein Ende. Und ich will leben!“

Er lebt, in der Tat. Und will offenbar versuchen, seine verlorenen Jahre aufzuholen („ich habe acht Jahre meines Lebens mit Drogen verschwendet“), denn sein Tag beginnt um sechs Uhr morgens und endet gegen Mitternacht. Als ich ihn nach seinen (Ex-)Freundinnen Tina Munim und Rati Agnihotri befragte, lächelte Sanjay und sagte: „Reden wir nicht von gestern. Gestern ist ein alter Hut. Reden wir über das Heute, den nur das ist wirklich wichtig.“ Er muss bemerkt haben, wie ich meine Augenbrauen vor Überraschung hochzog, denn er tätschelte meine Hand und neckte mich: „Und, wie gefällt dir dieser neue Sanjay Dutt?“ Ich lachte und sagte einfach nur: „Ich liebe ihn“ – und das war kein Scherz!

(Prochi Badshah; Deutsch von Diwali)

1 Kommentar:

Dunedain hat gesagt…

Ein ergreifend offenes Interview mit einem Sanjay Dutt, der seinen tiefsten Schmerz erkannt und akzeptiert hat, und gelernt, damit zu leben... God bless you, Sanju