Filmfare, August 1994
(Original: Link 1 - Link 2 - Link 3)
Sanjay Dutt: Was kommt als nächstes?
Die Filmindustrie reagiert geschockt auf die erneute Verhaftung von Sanjay Dutt am 4. Juli
Vierzehn Monate waren vergangen. Vierzehn Monate, in denen Sanjay Dutt, der am 4. Mai des vorigen Jahres auf Kaution freigelassen worden war, unter enormem Druck gestanden hatte. Unter TADA wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet und wegen angeblicher Verschwörung in die Mumbaier Bombenattentate angeklagt, war der Schauspieler auf Kaution frei, ja, aber die Frage, die in allen Köpfen herumspukte, war: Was kommt als nächstes?
Vor etwa einem Monat, am 4. Juli, kam der große Schock für die Filmindustrie und die Dutt-Familie – die Kaution wurde widerrufen. Sanjay wurde umgehend verhaftet. In Handschellen wurde er in eine Zelle im Central Jail Thane gebracht. Als Richter J.N. Patel den Beschluss verlas, brach der Schauspieler zusammen. Die Kameraleute versuchten, für die Nachrichten sein tränenüberströmtes Gesicht in Großaufnahme einzufangen. Zunächst verweigerte er jede Nahrungsaufnahme; zwar durfte er Essen von zu Hause erhalten, aber es dauerte eine Weile, bis er wieder einen Bissen zu sich nehmen konnte.
Sanjay war extrem besorgt gewesen – wie würde er die erneuten Tage und Nächte im Gefängnis ertragen? Seine Freunde bestätigen, dass ihn dieser Gedanke so gequält hatte, dass er nicht mehr arbeiten konnte und Drehtermine für Jyotin Goels Safari abgesagt hatte.
Seine Produzenten wiederum waren zuversichtlich gewesen, dass die Kaution verlängert werden würde. Nun waren sie wie betäubt, sie hatten einen günstigeren Beschluss des Supreme Courts erwartet.
Die Filmindustrie ist besorgt um Sanjay Dutt; die knallharten Geschäftsleute rechneten jedoch bereits aus, dass das Showbusiness drauf und dran ist, Rs 50 crores zu verlieren, wenn Sanjay nicht wiederkehrt, um seine Verpflichtungen zu erfüllen. Außerdem fragen sie sich: „Wird er überhaupt wieder geistig imstande sein, zu schauspielen, nach dieser erneuten Inhaftierung? Und dann kommt ja auch noch das Gerichtsverfahren dazu... Sanjay wie auch seine Produzenten stecken in ernsthaften Schwierigkeiten.“
Die Film Makers’ Combine hatte Sanjay als Folge seines Ausscheidens aus R.K.’s Prem Granth verboten, für neue Filme zu unterzeichnen. Die Cine Artistes’ Association jedoch hatte es ihm genehmigt. Als das Thema immer komplizierter wurde, begann Subhash Ghai kurzerhand, mit Sanjay für Trimurti zu drehen, und lud gezielt Journalisten dazu ein, um darüber zu berichten.
Nun stecken Produzenten und Vertriebe fest in dem „Was ist, wenn“-Syndrom. Was ist, wenn das Gesetz sich gegen Sanjay wendet und er am Ende zu einer längeren Gefängnishaft verurteilt wird? Und niemand wagt eine Prognose, wie lange das dann wohl sein wird. „Es können ein paar Monate sein, aber auch viele Jahre“ meint ein Produzent mit hilflosem Schulterzucken.
S.B. Jaisinghani, Sanjays ehemaliger Anwalt, verweigerte jedliche Auskunft über Sanjays Kaution oder die Anklagen gegen ihn. Doch zwei Monate zuvor hatte er der Filmfare auf die Frage nach dem möglichen Arms-Act-Urteil geantwortet: „Ich denke, zwei bis fünf Jahre Haft (rigorous imprisonment) sollten mehr als genug sein für die Dummheit, die Sanjay womöglich begangen hat. Sein Vergehen war ein geringeres – illegaler Waffenbesitz –, und er hätte unter dem Arms Act verhaftet werden sollen.“
Die Vertriebe machen sich offen Gedanken über die Zukunft von Sanjay Dutts Filmen. Ramesh Sippy von BRA Corporation: „Ich fürchte, es sieht zappenduster aus. Angenommen, er kommt eines Tages auf Kaution frei, dann werden sich die Produzenten um seine Termine prügeln... Aber Geldgeber und Vertriebe sind jetzt sehr, sehr vorsichtig, wenn es gilt, in einen Sanjay-Film zu investieren. Besonders hart wird es die kleineren Produzenten treffen, deren Filme sozusagen in der Warteschlange stehen.“
Damit bezieht sich Sippy vor allem auf die Produzenten Suresh Malhotra (Zameen – seit fünf Jahren verzögert), Afzal Khan (Mahaanta), Kanwal Sharma (Namak), Satish Khanna (Anokhi Ada) und Sajid Nadiadwala (Andolan, für den noch ein Song mit Sanjay gedreht werden muss).
Einige Produzenten sind der Ansicht, dass man Sanjay, solange sein Verfahren noch läuft, Studio-Dreharbeiten genehmigen sollte. Er könnte täglich unter Polizeiaufsicht aus dem Gefängnis ins Studio gebracht werden und nach Drehschluss zurückkehren. Während die einen das für eine „absurde Idee“ halten, weisen andere darauf hin, dass auch Balraj Sahni nach seiner Verhaftung in den Tagen vor der Unabhängigkeit weiterhin hatte spielen dürfen – unter starken Sicherheitsvorkehrungen.*)
Etwa 12 Filme mit Sanjay sind derzeit in Arbeit und verschieden weit gediehen; 16 Produzenten hatten ihn in den vergangenen Monaten unter Vertrag genommen, aber diese Filme waren noch in der Planungsphase. Einer der Filme, deren Dreharbeiten noch nicht begonnen hatten, war Rangeela unter der Regie des aus Hyderabad stammenden Ram Gopal Verma.
Sanjay hatte zwei Drehtermine für Subhash Ghais Trimurti unter der Regie von Mukul Anand beendet. Nun zirkulierten die Nachrichten, dass Sanjay ersetzt werden sollte. Auf entsprechende Anfargen meinte der Khalnayakwallah: „Ach, Sie haben das auch gehört? Dann lassen Sie mich Ihnen sagen, dass das leeres Geschwätz ist... Jemand hat mich gefragt, wie lange ich noch an Sanjay festhalten könne, und ich sagte, ich würde so lange an Sanjay festhalten, bis er selbst mir sagt, dass ich ihn in Ruhe lassen soll. Ich glaube an Teamwork – wenn ein Mitglied meines Teams sich verletzt, dann ist es meine Pflicht, zu warten, bis er wieder okay ist... Wir werden versuchen, für ihn eine Sonder-Drehgenehmigung zu erwirken.“
Sajid Nadiadwala konstatiert: „Krise hin, Krise her, wir müssen zu Sanju stehen. Er braucht unsere Unterstützung.“
Pahlaj Nihalani sagt: „Sanju ist ein Opfer der Umstände. Er war immer an vorderster Front, wenn es darum ging, Menschen zu helfen, und hat persönlich Hunderttausende von Rupien für die Opfer des Latur-Erdbebens gesammelt.“ Auch Yash Chopra, der einen Film namens Ajanta mit Sanjay geplant hatte, betont, man könne den Schauspieler nicht als anti-national beschreiben: „Er könnte niemals gegen die Werte verstoßen, die ihm seine Eltern mitgegeben haben.“
Suresh Malhotra war gerade dabei, Zameen neu zu beleben mit einem Drehtermin für Madhuri Dixit und Sanjay unter der Regie von Ramesh Sippy. Niedergeschlagen meint er: „Ich weiß nicht, was ich tun soll... Ich kann nur sagen, es gibt so viele illegale Feuerwaffen in den Kleinstädten von U.P. und bei Delhi. Aber alle Aufmerksamkeit konzentriert sich einzig auf Sanjay, weil er ein Star ist und die Leute entsprechend neugierig sind... Jeder Filmemacher, ob nun Subhash Ghai, Jyotin Goel oder ich, stirbt einen kleinen Tod, weil Sanjay im Gefängnis ist.“
In dem Zeitraum 93/94 wurde nur ein Sanjay-Film vollendet, nämlich Aatish. Seine anderen Releases wie Zamane Se Kya Darna und Insaaf Apne Lahoo Se hatten jeweils drei bis fünf Jahre gebraucht, um fertig zu werden.
Als Sanjay seinerzeit auf Kaution freikam, hatten ihm die Produzenten die Türe eingerannt. Ein völlig verblendeter NRI-Produzent soll ihm sogar Rs 91 lakhs geboten haben, damit er für seinen Film unterschreibt.
K.D. Sheorey von der Film Maker’s Combine: „Diesmal ist die Situation wirklich schlimm. Die Industrie wurde hart getroffen. In ihrem Interesse müssen wir für eine Strafaussetzung bzw. einen Hafturlaub appellieren, damit er wenigstens seine Filme vollenden kann – es geht ja schließlich nicht nur um Geld, sondern um das Überleben der Produzenten, die bankrott gehen könnten. Auch die Kinobesitzer und Vertreiber sind drauf und dran, Hunderttausende von Rupien zu verlieren.“
Sultan Ahmeds Jai Vikraanta ist fertig; Sanjay muss lediglich noch seine Passagen dubben. In Geschäftskreisen erwägt man als letzten Ausweg, wenn es keine andere Möglichkeit mehr geben sollte, ihn durch einen anderen Synchronsprecher zu ersetzen.
Projekte, von denen erst wenige oder noch gar keine Szenen gedreht wurden, müssen sich möglicherweise nach einem anderen Hero umsehen.
Als wir Polizeiquellen kontaktierten, antwortete man uns kurz und knapp: „Lasst dem Gesetz seinen Lauf. Alles, was wir sagen können, ist, dass wir unsere Untersuchungen gewissenhaft durchgeführt haben. Wir können nichts anderes sagen als: Wartet bitte ab!“
(Praveena Bharadwaj; Deutsch von Diwali)
„We’re with u“
Diesmal hat sich die Filmgemeinschaft um Sanjay Dutt geschart, in deutlichem Kontrast zu ihrem unangenehmen Schweigen im vorigen Jahr, als Sanjay unter TADA verhaftet worden war.
Am 5. Juli – einen Tag, nachdem Sanjays Antrag auf Kautionsverlängerung abgelehnt worden war, beschloss die Cine Artistes’ Association, zum Central Jail, Thane, zu gehen, um den Star ihrer Unterstützung zu versichern.
Ursprünglich sollte die Solidaritätsbekundung von den Künstlern und der Film Makers’ Combine gemeinsam organisiert werden, aber als den Künstlern die Wichtigkeit des Zeitfaktors bewusst wurde, gingen sie auf eigene Faust vor. Produzenten und Regisseure wie Subhash Ghai, Yash Chopra, Mahesh Bhatt, Raj N. Sippy und Sajid Nadiadwala schlossen sich dem Zug an.
Am Mittwoch, dem 6. Juli, fuhr die Entourage mit Bussen vom Hotel Rang Sharada, Bandra Reclamation, Richtung Thane Jail. Die meisten Stars sagten ihre Drehtermine ab und kamen, um ihren Kollegen zu unterstützen. Jackie Shroff flog extra aus Hyderabad ein, um teilzunehmen.
Unter den anderen Stars, die Sanju still, aber stark unterstützten, waren Asha Parekh (Präsidentin der CAA), Rishi und Randhir Kapoor, Shahrukh Khan, Saif Ali Khan, Suniel Shetty, Ajay Devgan, Anupam Kher, Raveena Tandon, Meenakshi Sheshadri, Naseeruddin Shah, Amrish Puri, Gulshan Grover und Kanchan.
Senior-Stars wie Dilip Kumar, Saira Banu und Johnny Walker schlossen sich ebenfalls an. Überraschenderweise erschien außer Raveena und Meenakshi keine von Sanjays Filmpartnerinnen, um Kontakt zu ihrem Leading Man zu suchen.
Befragt, was genau sie sich von diesem Aufmarsch erwarten würden, meinte Regisseur Mukul Anand: „Wir wollen nicht die Justiz herausfordern oder ihre Entscheidung zur Debatte stellen. Wir fragen uns lediglich, warum die Kaution nicht verlängert wurde; Sanju hat sich seit seiner Freilassung vorbildlich verhalten. Wir sind einfach nur hier, um Sanju wissen zu lassen, dass wir ihm beistehen. Er ist nicht allein.“
Die Autos der Künstler, die den Bussen zum Central Jail folgten, waren zugepflastert mit Bannern mit der Aufschrift „Wir stehen zu dir, Sanju“. Die Filmleute trugen schwarze Armbinden und trugen Plakate.
Produzent Yash Chopra betonte: „Wir haben diese Demo nicht öffentlich bekanntgegeben oder irgendjemanden bedrängt, daran teilzunehmen. Dass so viele von uns freiwillig gekommen sind, ist ein klarer Hinweis auf Sanjus Popularität.“
Außerhalb des Central Jail hatte sich eine riesige Menge versammelt. Die Stars verharrten für einen Augenblick in stillem Gebet. Dann betraten Asha Parekh und Subhash Ghai das Gebäude, um den Gefängnisaufseher aufzusuchen – ein Treffen mit Sanjay war ihnen nicht erlaubt worden. Daher überreichten sie den Brief, den sie an Sanjay geschrieben hatten, dem Aufseher und gingen still wieder hinaus.
Hier der Inhalt des Briefes:
„Unsere Herzen sind dir zugewandt im Augenblick deiner Prüfung. Wir kennen dich gut, und daher möchten wir, dass du weißt, dass wir das vollste Vertrauen haben in deine ehrlichen und echten Werte und deinen aufrechten Patriotismus, der sich gegen die organisierte Barbarei richtet, der diese große kosmopolitische Stadt 1992/93 über Monate hinweg unablässig ausgeliefert war. Weltlichkeit und Säkularismus war seit jeher das Credo der Filmgemeinschaft in Indien. Wir sind stolz darauf, dass du und deine Familie ein leuchtendes Beispiel gesetzt habt, indem ihr dieses heilige Credo aufrechterhalten habt gegen die offenen organisierten Angriffe und Grausamkeiten, denen die unglücklichen und unschuldigen Bürger von Bombay ausgesetzt waren. Sei versichert, lieber Sanju, dass DIE WAHRHEIT ANS LICHT KOMMEN WIRD. Wir lieben dich und sind bei dir.“
(Praveena Bharadwaj; Deutsch von Diwali)
*) In der Zeitschrift Movie vom März 1995 wurden Umfrageergebnisse zu verschiedensten Filmthemen für das Jahr 1994 bekanntgegeben. Dabei war auch gefragt worden: "Should Sanjay Dutt be allowed to come out of jail on parole and shoot for his incomplete films?" - und immerhin 76% der abgegebenen Stimmen waren Ja-Stimmen. (Wobei die Befürworter sicher nicht nur ausschließlich an Sanju dachten, sondern auch an die Produzenten, der Geld in den unvollendeten Filmen steckte.) Diese Frage stützte sich auf den auch in obigem Artikel genannten Präzedenzfall: In den 1950ern durfte Balraj Sahni, ein zu einer Gefängnisstrafe verurteilter kommunistischer Aktivist, tagsüber unter schwerer Bewachung für den Film Hulchul mit Nargis und Dilip Kumar drehen, bevor man ihn dann abends immer wieder zurück ins Gefängnis brachte. Allerdings habe ich bislang noch nirgends gelesen, dass damals dann auch tatsächlich entsprechende Anträge für Sanjay gestellt worden sind, sprich: ob man in diesem Punkt den vollmundigen Worten nach Sanjus Inhaftierung auch Taten hat folgen lassen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen