Freitag, 9. Februar 2007

Munna Bhai M.B.B.S. (2003)

Zur Story: Murli Prasad Sharma, genannt Munnabhai (Sanjay Dutt), ist Anführer einer Gangsterbande und macht zusammen mit seinem engsten Helfershelfer Circuit (Arshad Warsi) Mumbai unsicher. Seinen Eltern Shri Hari Prasad Sharma (Sunil Dutt) und Parvati (Rohini Hattangadi) hat er jedoch erzählt, er sei Arzt geworden, und um sie in ihrem Stolz auf ihren Sohn nicht zu enttäuschen, rüstet er jedes Mal, wenn sie ihn besuchen, sein Hauptquartier zum Krankenhaus um. Doch eines Tages erfährt Shri Hari durch seinen Bekannten Dr. J. Asthana (Boman Irani) die Wahrheit über den Beruf seines Sohnes. Als Munna klar wird, wie tief er seine Eltern verletzt hat, beschließt er, nun tatsächlich Arzt zu werden. Für sein Studium sucht Circuit ausgerechnet das College und die Klinik von Dr. Asthana aus, wo Munna mit seinen unkonventionellen Ansichten fortan den von Dr. Asthanas strengen disziplinarischen Regeln bestimmten Betrieb gründlich aufmischt. Während er sich dabei in Dr. Suman (Gracy Singh) verliebt, ohne zu ahnen, dass sie seine Kindheitsfreundin Chinki und damit Dr. Asthanas Tochter ist, schließen Klinikmitarbeiter und Patienten Munna immer mehr in ihr Herz und verteidigen ihn vehement gegen jede Bemühung Dr. Asthanas, den Gangster endlich loszuwerden...

Ich sag’s ohne Umschweife: In diesen Film habe ich mich verliebt. Eine Komödie mit Hintersinn und Taschentuchfaktor und mit einem wunderbar gecasteten Ensemble. Sanjay Dutt ist die Paradebesetzung für den Gangster, der durch sein gutes Herz in der Achtung seiner Mitmenschen zum Gott aufsteigt: ein Charakterdarsteller sondergleichen und dazu mit einer wahnsinnig sympathischen Ausstrahlung gesegnet, außerdem verfügt er über einen blendenden Humor und eine starke Emotionalität – und er wirft einmal mehr alles bedingungslos in die Waagschale. Heraus kommt ein umwerfendes Rollenporträt, das seinesgleichen sucht – eine fabelhafte Leistung, für die Sanju zu Recht mit mehreren Awards belohnt wurde (Filmfare Award als Best Comedian, Stardust Star of the Year Award und Bollywood Movie Award als Most Sensational Actor; dazu kamen Nominierungen als Best Actor bei den IIFA Awards, den Sansui Awards und den Star Screen Awards). Auch Arshad Warsis Circuit ist eine preisgekrönte Studie ohne Fehl und Tadel, und seine Chemie mit Sanjay ist herrlich. Gracy Singh kann mit ihren überragenden Partnern nicht ganz mithalten, ist aber insgesamt okay. Jimmy Shergill spielt seine kleine, aber feine Rolle des Zaheer wunderbar und berührend. Und Boman Irani entzieht sich, anstatt seine Figur einfach an Effekte zu verkaufen, souverän jedem Klischee: fies, aber kein klassischer Schurke, "komisch", aber kein Comic Relief. Hut ab!

Das ist überhaupt ein Kennzeichen dieses Films: Er macht alles ein bisschen ruhiger, subtiler als gewohnt. Er bedient zwar das eine oder andere Handlungsklischee des Hindi Cinema, aber immer einen Gang niedriger, als es andere Filme tun: die Gags, Twists und Rührnummern werden einem nicht hingeknallt, sondern oft fast wie nebenbei aus dem Handgelenk geschüttelt. Selbst die moralisierenden Sequenzen kommen ohne unangenehm erhobenem Zeigefinger daher. Und wer kann letztlich schon widerstehen, wenn Munnabhai mit dem von seiner Mutter erlernten „jadoo ki jhappi“ (Magic Hug - in der deutschen Version süß mit „Knuddelzauber“ übersetzt) Sonnenschein in das freudlose Dasein seiner Umwelt bringt, dem an Krebs erkrankten Zaheer (Jimmy Shergill) noch einmal einen Lebenswunsch erfüllt oder den seit Jahren paralysierten und zum fühllosen Studienobjekt degradierten Anand Banerjee (Yatin Karyekar) durch seine Fürsorge wieder ins Leben zurückholt? Munnabhai mag ein Gangster sein, aber er ist im Gemüt unschuldig wie ein Kind und denkt und handelt daher menschlicher als so mancher, der sich ihm wegen seines Berufes moralisch überlegen glaubt, da Munnas Gedanken und Handlungen spontan und direkt aus seinem Herzen kommen und nicht von irgendwelchen allzu disziplinverhafteten oder bürokratischen Denkweisen verstellt sind.

Am bewegendsten sind natürlich Sanjays Szenen mit seinem Vater Sunil Dutt (der für diese Rolle zum ersten Mal seit vielen Jahren und trotz gebrochener Schulter noch einmal vor eine Kamera trat) – zumal wenn man um die ganz besondere Vater-Sohn-Beziehung dieser beiden weiß: Munnas Gesichtsausdruck, wenn ihm bewusst wird, wie sehr er seinen Vater durch seine Lügen verletzt hat, oder die versöhnende Umarmung von Vater und Sohn am Ende, diese Liebe und Dankbarkeit, die Munna da hinein legt – das ist nicht gespielt von Sanju, das ist echt. Für ihn stand in diesem Moment nicht sein Filmvater vor ihm, sondern sein richtiger Vater, für den er diese Liebe und Dankbarkeit nach all den schweren Krisen, die die beiden gemeinsam durchlitten haben, auch im reellen Leben empfindet. Man möchte nicht glauben, dass dies die einzige Zusammenarbeit vor der Kamera ist, die diesen beiden großen Gestalten des Hindi Cinema jemals vergönnt war – und wenn man sieht, welche eine wunderbare Chemie Vater und Sohn Dutt auch auf der Leinwand zusammen hatten, kann man nur bedauernd feststellen: ein Jammer. Zumal es nach Sunils Tod im Jahr 2005 auch keine Möglichkeit mehr gibt, dieses Versäumnis wettzumachen.

Übrigens hatte Vidhu Vinod Chopra die Munnabhai-Rolle ursprünglich für Shahrukh Khan vorgesehen (während Sanju die Zaheer-Rolle spielen sollte, die dann später Jimmy Shergill übernahm). Wegen seiner nicht mehr aufschiebbaren Rückenoperation musste Shahrukh dann damals jedoch absagen und sich mit einer dankenden Nennung in den Endcredits begnügen. Und so gut ich mir Shahrukh in der Rolle durchaus vorstellen kann - in diesem Fall kann ich mit der "Ersatzlösung" mehr als blendend leben. Denn Sanjay Dutt IST ganz einfach Munnabhai, es ist die Rolle seines Lebens und neben Khalnayak diejenige, die man auch künftig zuvörderst mit seinem Namen verbinden wird. Zumal er drei Jahre später mit dem Sequel Lage Raho Munna Bhai zusammen mit seinem kongenialen Partner Arshad Warsi noch eine weitere Glanzleistung draufsetzte.

Munna Bhai M.B.B.S. ist Unterhaltung und Genuss ohne Reue. Sehr zu empfehlen. Auch für solche, die an sich nicht auf Sanjay Dutt stehen – denn in diesem Punkt hat Munnabhai definitiv Bekehrungspotential. Oder wie es in der Tagline heißt: „Achtung – er könnte Sie kurieren.“

Produktion: Vidhu Vinod Chopra; Regie: Rajkumar Hirani
155 Min.; DVD: Eros, englische UT (inkl. Songs) + Making Of


P.S. Sanju kuriert sich sogar selbst mit diesem Film. Laut der Filmfare 7/2004 hat er sich seinerzeit seine Lieblingsstellen aus Munnabhai MBBS auf sein Mobiltelefon heruntergeladen - um sie sich in schweren Stunden ansehen zu können.

P.P.S. Dr Asthana's memories / Sanjay Dutt im Abspann des Telugu-Remakes Shankar Dada MBBS (2004)

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