Freitag, 16. Februar 2007

Parineeta (2005)

Zur Story: Kalkutta, 1962. Zwei Familien der gehobenen Mittelklasse leben in unmittelbarer Nachbarschaft: Gurcharat (Achyut Potdar), der mit seiner Frau Vasundhara (Kumkum Bhattacharya), seiner Tochter Koel (Raima Sen), seiner Pflegetochter Lolita (Vidya Balan) und seiner Cousine Charu Sharma (Smita Malhotra) ein palastartiges Haveli bewohnt; und ihm gegenüber der reiche Industrialist Navinchandra Rai (Sabyasachi Chakraborty) mit seiner Frau Rajeshwari (Surinder Kaur) und seinem Sohn, dem Musiker Shekhar (Saif Ali Khan). Nach einem Herzanfall vor drei Jahren hatte Gurcharat sich von Navin 100.000 Rupien geliehen und für die Summe samt Zinsen sein Millionenanwesen verpfändet. Obwohl er mittlerweile arbeitslos geworden ist und nicht weiß, wie er das Geld zurückzahlen soll, vertraut er auf den „Gentleman“ in Navin, zumal dessen Sohn Shekhar mit Lolita seit Kindheitstagen eine innige Freundschaft verbindet. Navin jedoch wartet nur darauf, das Haveli endlich in seine Hände zu bekommen und dessen Bewohner auf die Straße zu setzen, da er es für ein Hotelprojekt verplant hat. Zum rettenden Engel für Gurcharats Familie wird Charus Bruder Girish Sharma (Sanjay Dutt), der sich in London zum wohlhabenden Unternehmer hochgearbeitet hat. Doch dabei verliebt er sich in Lolita – und schon bald beginnt Shekhar, an ihrer Ehrlichkeit zu zweifeln...

Mit Parineeta (= verheiratete Frau) ist Vidhu Vinod Chopra und Pradeep Sarkar eine beeindruckende und stimmige Literaturverfilmung gelungen. Ein besonderer Coup war die Verlegung der Handlung aus dem 1914 entstandenen Chattopadhyay-Roman in das Kalkutta der 1960er Jahre; Chopra löste die Erzählung dadurch aus jeder Zeitverhaftung und beließ sie dennoch in einer vergangenen Epoche, so dass er sie nicht ihres Nostalgiefaktors beraubte. Das Flair der eleganten und prachtvollen Wohnpaläste, der liebenswerten historischen Eisenbahn (in der einst schon Saif Ali Khans Mutter Sharmila Tagore für Aradhana an Filmkameras vorbeigefahren war) und des glamourösen „Moulin Rouge“-Nachtclubs prägt den Film und macht ihn zugleich zu mehr als nur einer Augenweide – man fühlt sich in diesem stilvoll-nostalgischen Ambiente einfach nur wohl.

Ebenfalls rundum gelungen ist die Besetzung – selten erlebt man einen derart geschlossenen und harmonierenden Cast, in dem es keinen einzigen Ausfall gibt. Das gilt für jedes einzelne Mitglied der beiden Familien über die wenigen zusätzlichen Nebenfiguren bis hin zu Diya Mirza in der kleinen Rolle der verwöhnt-eleganten Gayatri Tantiya, die mehr als nur ein begehrliches Auge auf Shekhar geworfen hat. Was nur zu verständlich ist, denn Saif Ali Khan ist ein ausgesprochen attraktives Mannsbild und bringt noch dazu schon von Natur aus genau die aristokratische Note mit, die seine Figur verlangt. Sein Spiel ist ausdrucksstark und intensiv und verdichtet sich zu einem insgesamt überzeugenden Rollenporträt. Für die größte Überraschung sorgte seinerzeit jedoch Vidya Balan, die Chopra und Sarkar für deren Mut, die weibliche Hauptrolle in ihrem teuren Prestigeprojekt mit einer absoluten Newcomerin zu besetzen, mehr als belohnte. Mit dezentem und zugleich – oder vielmehr gerade deshalb sehr eindringlichem Spiel absolvierte sie ein Filmdebüt, das nicht wenige Kollegen, Kritiker und Zuschauer dazu veranlasste, sie mit den ganz großen Vertreterinnen des Hindi Cinema wie z.B. Madhuri Dixit auf eine Stufe zu stellen und ihr eine rauschende Karriere vorauszusagen. Das Zeug dazu hat sie allemal.

Und für die zwar eher kleine, aber dafür umso wichtigere Rolle des sympathischen und lebenserfahrenen Girish jemanden vom Kaliber eines Sanjay Dutt zu haben ist natürlich ein Glücksfall erster Klasse. Mit seiner Präsenz und seinem Charisma verhindert Sanjay, dass Girish neben der zentraleren Figur des Shekhar zur zweiten Geige verkümmert, und spielt zugleich jedoch mit genügend Feingefühl, dass er das Verhältnis seinerseits auch nicht umkehrt. Girish und Shekhar sind zwei absolut gleichwertige Figuren, und selbst in ihrer finalen Auseinandersetzung setzt Sanjay nicht mehr Autorität ein als nötig, wodurch diese Szene zwischen ihm und dem, wie gesagt, ebenfalls stark spielenden Saif eine wunderbare Spannung erhält. Bei seinem klassischen bengalischen Tanz und in der großen Moulin-Rouge-Nummer „Kaisi Paheli Zindegani“ mit Gaststar Rekha beweist Sanjay zudem, dass seine Bewegungen nichts von ihrer Puma-Eleganz der frühen 90er Jahre eingebüßt haben. Und seinen feinsinnigen Humor kann er als Girish mehrfach ausspielen. Die Filmfare, die Stardust und die Zee Cine Awards würdigten diese reife und schöne Leistung mit je einer Nominierung Sanjays als Best Supporting Actor; leider blieb es einmal mehr bei der Nominierung. (Offen gesagt erwarte ich mittlerweile schon gar nichts anderes mehr...)

In der der UTV-DVD beiliegenden Broschüre wird die Rolle des Girish übrigens folgendermaßen geschildert: „Der Traummann aller Frauen. Ausgelassen, spaßliebend, galant, sensibel, selbstständig. Girish verliebt sich Hals über Kopf, ohne dabei denselbigen zu verlieren. Überraschenderweise hat sein aus eigener Kraft erarbeiteter Erfolg ihn nicht arrogant, sondern eher bescheiden und mitfühlend gemacht. In diesem reichen und lebenserfahrenen jungen Mann steckt das Gemüt eines schelmischen Kindes, und ständig spielt Girish irgendwelche Streiche, um ein Lächeln auf die Gesichter seiner Mitmenschen zu zaubern.“

Könnte man Sanju besser beschreiben?

Produktion: Vidhu Vinod Chopra; Regie: Pradeep Sarkar
129 Min.; DVD: UTV, englische UT (inkl. Songs). Bonus DVD mit Making Of, Behind the Scenes, Making of „Yeh Hawayein“, Curtain Raiser, Trailer und Still Gallery. Farbige Broschüre mit Lyrics und Infos zu Film, Darstellern und Machern.


Bonus: Aus dem "Curtain Raiser", Stardust, April 2005:

Sanjay Dutt und Vidhu Vinod Chopra – das erinnert an die grandiose Kombination, die vor zwei Jahren mit dem Blockbuster Munnabhai MBBS für Furore an den Kinokassen sorgte. Nun sind Vidhu und Sanjay zu einem weiteren hungama an den Kassen bereit. „Okay, Parineeta ist eine vollständige Abkehr von der Figur, die ich in Rajus Munnabhai-Film gespielt habe“, sagt Macho Sanjay Dutt. „In diesem Film bin ich ein ausgesprochen gewinnender und emotionaler Typ. Ein Mann, der hart für sein Vermögen gearbeitet hat. Ein Mann, der vieles im Leben gesehen hat, ein sehr viel reiferer Mann. Ich habe auch an meinem Aussehen gearbeitet; meine Haare sind zurückgekämmt, und ich trage lange sherwanis und kurtas. Ich spreche reines Hindi, und meine Emotionen sind eher gedämpft“, informiert Sanju. Er hat für dieses Projekt zugesagt, obwohl er wusste, dass die eigentliche männliche Hauptfigur Saif sein würde, weil seine Rolle Neues für ihn bot: „Ich denke, diese Figur verschafft mir als darstellender Künstler eine Menge Freiraum. Davon abgesehen, dass ich zu Vidhu niemals nein sagen kann. Er ist mein Kumpel. Mit Pradeep zu arbeiten war eine Erfahrung, an die ich mich immer gerne erinnern werde. Ich denke, Parineeta wird mir einen Namen als ernsthafter Schauspieler verschaffen.“

Es war am letzten Drehtag, als die Pre-Climax aufgenommen wurde (Anm. Diwali: gemeint ist die große Szene zwischen Sanju und Saif vor der Hochzeit). Regisseur Pradeep wartete mit angehaltenem Atem, und in der allgemeinen Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Sanju lieferte seinen Text ab, und es entstand eine Pause. Jeder konnte spüren, dass etwas passierte. Sanju hatte Tränen in den Augen. (...) „Die Szene war wirklich bewegend. Ich war völlig in die Szene versunken. Ich hatte vorher in Erwägung gezogen, Glyzerin zu verwenden, aber dann schoss mir etwas durch den Kopf, und ich sagte, lasst uns loslegen. Nachdem ich meinen Text aufgesagt hatte, merkte ich, dass meine Augen feucht waren. Um weitere Verlegenheiten zu vermeiden, schloss ich sofort meine Augen, aber die Tränen liefen nur so herunter“, erzählt Sanju mit erstickter Stimme.


(Deutsch von Diwali)

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