Freitag, 23. Februar 2007

Lage Raho Munna Bhai (2006)

Zur Story: Murli Prasad Sharma, genannt Munnabhai (Sanjay Dutt) überlässt seit einiger Zeit einen Großteil seiner Gangster-Pflichten in Mumbai seiner rechten Hand Circuit (Arshad Warsi) und verbringt dafür täglich Stunden vor dem Radio, um der Stimme der Moderatorin Jhanvi (Vidya Balan) zu lauschen, in die er sich verliebt hat. Durch eine handfeste Schummelei gewinnt Munna ein Gandhi-Quiz in ihrer Sendung und darf sie dafür im Studio besuchen, wo er sich als Geschichtsprofessor ausgibt. Als Jhanvi ihn bittet, für die sieben Senioren, die sie als ihre "Kinder" in ihrem Haus "2nd Innings" betreut, einen Vortrag über Gandhi zu halten, sagt Munna spontan zu – und verbringt notgedrungen die nächsten Tage und Nächte in der Bibliothek, um sich fitzulesen. Mit Hilfe von Gandhis Geist (Dilip Prabhavalkar), der ihm dort zum ersten Mal erscheint, entwickelt sich Munna allmählich zum Experten für das Gandhigiri, die Lehren Gandhis – und versucht nicht nur, sie tatsächlich selbst zu praktizieren, sondern sie auch den Menschen näherzubringen. Vor allem erprobt er Gandhis Konzept des gewaltlosen Widerstandes an dem Immobilienlöwen Lucky Singh (Boman Irani), der dem Unternehmer Khurani (Kulbhushan Kharbanda) ausgerechnet Jhanvis Haus fest versprochen hat – und sich von Munnas provokativer Liebenswürdigkeit überhaupt nicht beeindrucken lässt...

Falls sich jetzt jemand fragt, was denn aus Dr. Suman geworden ist, die Munnabhai am Ende des Filmes Munnabhai MBBS geheiratet hat, oder warum Boman Irani hier plötzlich eine ganz andere Figur spielt als damals: Lage Raho Munnabhai (= Immer weiter, Munnabhai) ist zwar ein Sequel zu Munnabhai MBBS, aber keine direkte Fortsetzung jenes Filmes. Vielmehr wurden lediglich die beiden zentralen Figuren Munnabhai und Circuit zu Hauptfiguren einer völlig neuen Geschichte. Ein Konzept, das schon zu Zeiten von Stan Laurel und Oliver Hardy funktionierte und auch in diesem Fall eine unbegrenzte Anzahl weiterer künftiger Munnabhai- und Circuit-Abenteuer ermöglicht; das nächste, in dem es die beiden liebenswerten Gangster in die USA verschlägt, ist bereits in Arbeit, und weder Produzent Vidhu Vinod Chopra noch Regisseur Rajkumar Hirani oder gar die beiden Hauptdarsteller Sanjay Dutt und Arshad Warsi (deren Chemie auf der Leinwand immer phantastischer wird) lassen einen Zweifel daran, dass sie – solange ihnen die Ideen nicht ausgehen und das Publikum sie noch sehen will – jederzeit bereit sind, notfalls noch bis ins Rentenalter Munnabhai-Filme zu drehen.

Soviel als Vorwort bzw. Ausblick; zurück zu Munnabhai dem Zweiten. Sequels laufen ja oft Gefahr, den hohen in sie gesetzten Erwartungen nicht standzuhalten, zumal wenn der Vorgänger ein so sensationeller Erfolg war wie Munnabhai MBBS. Doch Chopra und Hirani ist das Kunststück gelungen, diesen Erwartungen nicht nur gerecht zu werden, sondern sie sogar noch zu übertreffen. An den Kinokassen wurde Lage Raho Munnabhai einer der erfolgreichsten Hindi-Filme aller Zeiten, und die Preise und Awards, die dieser Film sammelt wie andere Leute Briefmarken, sind mehr als verdient; denn nicht nur, dass er erneut mit sagenhaft leichter Hand Unterhaltung, Komik, Emotionalität und Ernsthaftigkeit miteinander verwebt, er hat zugleich in Indien eine Gandhi-Renaissance sondergleichen ausgelöst: Gandhi-Bücher wurden zum Verkaufsschlager, Universitäten nahmen neue Seminare über Gandhi und seine Lehren und Prinzipien in ihr Programm auf, und junge Menschen begannen, sich ernsthaft mit dem Gandhigiri zu befassen. Allein dafür verdient der Film bereits einen Ehrenplatz in den Annalen des Hindi Cinema.

Doch selbst unabhängig davon wäre Lage Raho Munnabhai ein Must-See ohne Wenn und Aber. Ich gebe zu: Ich habe mich rettungslos in diesen Film verliebt und ihn zu meinem derzeitigen Lieblingsfilm erkoren. Mit so viel geballter Liebe und Warmherzigkeit bin ich einfach schon lange nicht mehr überfahren worden. Wie schon in Munnabhai MBBS vermitteln Chopra und Hirani auch hier ihre Botschaften, ohne dabei zeigefinger-belehrend oder predigend zu werden. Man nimmt diese Botschaften auf, während man mit Munnabhai und Circuit lacht oder weint oder beides zusammen – und umso stärker bleiben sie dann auch hängen. Selbst das Erscheinen des Geistes von Mohandas Karamchand Gandhi persönlich ist nicht im Geringsten deplatziert oder peinlich, da Dilip Prabhavalkar ihn zwar durchaus mit Würde, aber auch mit augenzwinkerndem Humor gestaltet und seine Interaktionen mit Munnabhai (der ihn als einziger sieht) völlig frei von übertriebener Ehrfurcht seitens Munna sind – er redet mit "Bapu" genauso von der Leber weg wie mit seinem Kumpel Circuit.

Als Munnabhai brilliert Sanjay Dutt mit seinem unvergleichlichen Charme an der Spitze eines auch insgesamt erlesenen und spielfreudigen Ensembles. Vidya Balan ist zauberhaft als Jhanvi, und man kann gut verstehen, dass sich Munna allein schon in ihre warmtönende Stimme verliebt (und dann erst recht, wenn er sie zu Gesicht bekommt). Boman Irani ist ein Genuss als eitler Immobilienhai, der bei aller Skrupellosigkeit immer noch so nett ist, dass man ihm gerne zusammen mit Munna und den anderen "gute Besserung" wünscht. Weniger zu tun hat diesmal Jimmy Shergill, aber er spielt die Rolle des verzweifelten Victor d’Souza, dem Munna mit seinem Gandhigiri aus einer schwierigen Situation heraushilft, ebenso überzeugend wie Diya Mirza ihren kleinen Part als Lucky Singhs Tochter Simran. Und ins Herz geschlossen habe ich einmal mehr Arshad Warsi, der diesmal über den kaltschnäuzig-coolen Bhai-Helfer hinaus auch mal so richtig Emotionen rauslassen darf und sich auch in diesem Punkt als kongenialer Partner für Sanjay erweist, der ja bekanntermaßen auf der Leinwand Emotionen pur zeigen kann wie nur wenige außer ihm.

Nicht zuletzt deshalb ist die Rolle des Gangsters mit dem weichen Herzen und dem Gemüt eines unschuldigen Kindes in seinen Händen auch so gut aufgehoben, zumal Sanjay viele Charaktereigenschaften mit dieser Figur teilt. "Sanjay Dutt IS Munnabhai", konstatierte folgerichtig die Rediff, "it’s like a role he was born to play." Genauso sehe ich das auch: Sanjay IST Munnabhai, es ist die Rolle seines Lebens (so wie vermutlich auch der Circuit die Rolle des Lebens für Arshad ist). Für seine grandiose Leistung in Lage Raho Munnabhai erhielt er mehrere Best-Actor-Nominierungen (Global Indian Film Awards, Star Screen Awards, Filmfare Awards, Zee Cine Awards, IIFA Awards) wie auch Trophäen: den Critics Choice Award der GIFA, den Star Screen Critics Award, den Stardust Star of the Year Award, den Zee Cine Critics Award, den India Splendour Award... Auch der Film insgesamt wurde mit Awards und Auszeichnungen überschüttet, einschließlich der renommierten National Awards.

Natürlich wird Sanjay für mich immer auch die Inkarnation von Khalnayak und Raghubhai bleiben (von seinem gottvollen Yamraj mal ganz zu schweigen), aber zuvörderst ist und bleibt er unser aller Munnabhai. Möge er als solcher noch viele weitere Sequels drehen!

Produktion: Vidhu Vinod Chopra; Regie: Rajkumar Hirani
144 Min.; DVD: Eros, englische UT (inkl. Songs); Bonus-DVD mit "M.B.B.S. Looking Back", "Making of Music 1 und 2", dem Making Of, "Munna meets Bapu" und "Munnabhai M.B.B.S. to Lage Raho Munnabhai"
Screenshots
Showcasing LRM


P.S. Nach Lage Raho Munnabhai ist übrigens ein kleiner Revisit von Kabzaa empfehlenswert, wo Sanjay bereits 1988 mit Gandhi und gewissen Aspekten von dessen Lehre konfrontiert wurde... ;)

P.P.S. 2009 veröffentlichte Om Books das Drehbuch des Filmes als Taschenbuch: Lage Raho Munna Bhai - The Original Screenplay

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