Montag, 26. März 2007

Filmfare 7/2003: SOS - Sanjay On Sanjay

Filmfare Juli 2003

SOS – Sanjay On Sanjay

Spiel’s cool. Das scheint das Mantra am Set von Munnabhai MBBS zu sein. Ein Song wird gedreht, und unser Held des Tages, Sanjay Dutt, wirkt völlig unberührt von der Hitze und den an ihn gestellten Forderungen. Als der Choreograph die x-te Wiederholung verlangt, schaut unser Marlboro-Mann auf den Monitor und meint lässig-gedehnt: „Wieso willst du noch eine Wiederholung, für mich sieht das perfekt aus.“ Der wohlbeleibte Choreograph erwidert: „Baba, ich hätte gern noch ein bisschen mehr Energie.“ Was sein muss, muss sein, und so stürzt sich Dutt in eine weitere Hopp-zwei-drei-Charade.

Ein junges, HIV-positives Mädchen wartet geduldig darauf, dass er fertig wird. Offensichtlich war es einer ihrer größten Wünsche, einmal Dutt jr. zu begegnen. Und der Schauspieler sorgt dafür, dass es ein unvergesslicher Tag für das Kind wird. Glücklich flüstert sie: „Ich liebe dich, und ich bin so glücklich, dich kennenzulernen.“ Er fährt ihr liebevoll durchs Haar und sagt mit einem warmen Lächeln: „Danke gleichfalls – ich bin auch sehr glücklich, dich kennenzulernen.“

Doch sobald das Mädchen wieder fort ist, verändert sich sein Gesicht; die Begegnung ist eindeutig nicht ohne Auswirkung auf seine Fassung geblieben. Durch einen Flor silbergrauen Rauchs murmelt er: „So etwas macht mich wirklich fertig. Ich wünschte, wir könnten mehr für solche Kinder tun. Arm und HIV-positiv zu sein ist in unserem Land wie ein Verbrechen. Ich wünschte, ich könnte viel mehr für die Menschen tun. Das einzige Problem ist, dass mein Gerichtsverfahren derzeit nicht nur eine Menge meiner Zeit in Anspruch nimmt, sondern mich auch geistig und emotional völlig auslaugt.“

Hektische Betriebsamkeit erfordert auch die Actors’ Association, die er zusammen mit seinen Kollegen Suniel Shetty, Abhishek Bachchan und Ajay Devgan ins Leben gerufen hat. Sanjay erläutert: „Wir werden eine Reihe von Veranstaltungen auf die Beine stellen, deren Einnahmen an Arbeiter gehen, die nicht zu ihrem Geld oder Recht kommen. Gerade eben hatten wir ein Cricket-Match in Südafrika, dessen Erlös wir den Familien der Arbeiter zur Verfügung gestellt haben, die bei den Dreharbeiten zu LOC Kargil in Ladakh umgekommen sind. Für solche Sachen bin ich immer zu haben, da stehe ich zur Verfügung, egal wann, wo und zu welcher Uhrzeit.“

In diesem Punkt darf man Dutt jr. wörtlich nehmen; seine Großzügigkeit ist in den Filmkreisen legendär. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum trotz seines gerichtlichen Schlamassels die Produzenten nach wie vor Schlange stehen und darauf warten, dass er grünes Licht für ihre Projekte gibt, während viele seiner Zeitgenossen ihren Karrieren längst Ade sagen mussten. Ein weiterer Grund ist natürlich, dass er nach Ek Aur Ek Gyarah unter den Verleihern als „hot“ eingestuft wird.

Und auch bei den Frauen ist er „hot“ – er ist nach wie vor ein vielgefragter Frauenschwarm. Selbst Teenager scheinen auf sein leidenschaftliches Schauspiel abzufahren. Was macht ihn für die Frauen so attraktiv? „Wer sagt, dass ich hot bin?“ wehrt er ab. Er drückt seine Zigarette aus, wirft sich ein paar Atemerfrischer ein und sagt: „Ich dachte, Hrithik Roshan, Fardeen Khan und Akshaye Khanna wären die Jungs, bei denen die Frauen in Ohnmacht fallen. Andererseits, vielleicht ist es meine Reife, die die Frauen anzieht. Aber ehrlich gesagt, ich habe mich nie gezielt um Aufmerksamkeit oder um Frauen bemüht.“ Dann lächelt er und fügt hinzu: „Vielleicht sind es meine Augen? Zumindest ist es das, was mir die Frauen sagen.“

Was immer der Grund ist, er hat seine Fans und seinen Marktwert. Obwohl er seinen Erfolg immer leicht genommen hat. Wenn man ihm das jedoch sagt, schießt er sofort zurück: „Hey, für mich ist das Schauspielen eine ernste Angelegenheit. Ich mag vielleicht entspannt und ehrgeizlos rüberkommen, weil ich am Set ständig irgendwelchen Unfug mache. Aber das stimmt nicht. Ich bin sehr zielbewusst und verantwortungsvoll. Die Tatsache, dass ich jetzt schon zwanzig Jahre im Geschäft bin, sollte Beweis genug sein, dass ich meinen Beruf ernst nehme. Aber bitte, nach so vielen Jahren erwartet doch wohl keiner mehr von mir, dass ich mit meinem Drehbuch in der Ecke sitze und so tue, als würde ich es hingebungsvoll studieren.“

Im Gegensatz zu einigen anderen Schauspielern ist er nach eigener Auskunft auch kein Typ, der seinen Regisseuren Anweisungen erteilt. „Ich biete Vorschläge an. Ich rede mit den Drehbuchschreibern und Regisseuren über Szenen, aber mehr nicht. Ich bitte niemanden, meinen Anweisungen zu folgen. Ich habe kein Interesse daran, Ghost Director (heimlicher Regisseur) zu sein. Ich bin glücklich, wenn ich meine Arbeit tun kann und wenn man mich dafür schätzt.“

Seiner Ansicht nach ist seine Fähigkeit, sich als Schauspieler jedem Stereotyp zu entziehen, seine Visitenkarte. „Mein Image ist das eines Action Hero, aber ich habe auch andere Rollen gespielt. Ich habe neben Vaastav auch Ek Aur Ek Gyarah gemacht und neben Rudraksh auch Munnabhai MBBS. Ich möchte unterschiedliche Rollen spielen, und ich achte darauf, dass es auch so bleibt. Das ist der Grund, warum ich so verschiedene Filme mache – damit mir das Spielen mehr Spaß macht.“

Das Sodbrennen, das ihm die Produktion von Kaante bereitet hat, hat ihn nicht weiter abgeschreckt, sagt er mit Überzeugung. „Ich möchte Filme machen, an die ich wirklich glaube. Als Mani Shankar mir die Handlung von Vande Mataram erzählt hat, wusste ich, dass ich das machen muss. Suniel (Shetty), Ajay Devgan, Nitin Manmohan und ich haben uns zusammengetan, um diesen Film zu produzieren, der auf dem Bangladesh-Krieg von 1971 basiert. Wir werden einen Film machen, auf den wir stolz sein werden.“ (Anm. Diwali: Entweder dieses Projekt hat sich zerschlagen, oder Sanjay meint Tango Charlie; die Namen der Beteiligten würden passen, und der Film spielt in Nordostindien, allerdings nicht 1971.)

Ist er auch stolz auf seine obszöne Nummer „Ishq Samunder“ in Kaante? „War die obszön?“ schießt er sofort zurück. „Es war eine eingängige, fesselnde Nummer, die großen Spaß gemacht hat. Ich tanze nicht, aber so war das okay. Aber gut, sollten die Leute jetzt Vorbehalte wegen dieser Nummer haben, dann kann ich sie beruhigen: In meinen nächsten paar Filmen werde ich weder singen noch tanzen. Ich gönne also allen eine kleine Atempause“, kichert er vergnügt.

Sanjay hat sich außerdem mit seinem Freund Suniel Shetty zusammengetan, um landesweit eine Restaurantkette zu eröffnen. „Die erste kommt nach Hyderabad und wird SOS heißen, Suniel or (aur = und) Sanjay. Dann werden bald weitere folgen. Ich mag gutes Essen, und - ich weiß, das werden jetzt viele nicht glauben, aber ich bin auch ein guter Koch. Ich kann innerhalb von Minuten ein schmackhaftes Essen zaubern.“

Das sind eine Menge Projekte. Macht er das alles für das moolah? „Ganz bestimmt nicht“, sagt Sanjay klar und deutlich. „Ich war niemals gierig nach Geld. Ganz ehrlich, ich habe Menschen nie danach beurteilt, wieviel Geld sie haben oder nicht haben. Wirklich wichtig ist für mich Respekt. Ich möchte, dass die Leute mich respektieren, und ebenso wichtig ist, dass ich die Leute respektiere, mit denen ich es zu tun habe. Nichts kann in diesem Leben wichtiger sein als Selbstrespekt. Geld ist für mich ohne Bedeutung.“

Kein Wunder, dass sein Konten bis vor kurzem trotz jahrzehntelanger Arbeit leergeräumt waren. Worauf Sanjay meint: „Ich sehe keinen Sinn darin, Geld zu sammeln, damit es andere dann ausgeben können. Ich habe es immer entweder selber ausgegeben oder anderen zur Verfügung gestellt. Ich denke nie zweimal nach, wenn ich jemandem helfen kann, der in Not ist. Wenn ich anderen helfe, dann wird irgendjemand eines Tages auch mir helfen... Gott achtet darauf. Aber ich muss jetzt die Zukunft meiner Tochter sichern. Um meine finanziellen Angelegenheiten kümmert sich jetzt Suniel (Shetty); ich weiß genau, dass er für mich immer nur das Beste will.“

Nach einer Pause fügt er hinzu: „Ich habe gelernt zu schätzen, was ich habe, weil ich nicht weiß, was der morgige Tag für mich bereithält. Deshalb werdet ihr auch nie erleben, dass ich Pläne für die Zukunft mache oder wegen ihr besorgt bin. Es steht alles in meinem Schicksal: Was mir vorherbestimmt ist, wird geschehen. Selbst mit noch so viel Stress könnte ich nichts nach meinem Willen ändern.“

Gib dem Frieden eine Chance, könnte sein Motto heute lauten. Sanjay verrät in ruhigem Tonfall: „Das Gerichtsverfahren wegen der Bombenattentate hat mir seinen Preis abverlangt. Die vergangenen Jahre waren sehr traumatisch für mich. Seit zehn Jahren lebe ich mit einer Anklage für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe. Und solange das Urteil nicht gesprochen ist, kann ich wirklich nicht wissen, welchen Weg mein Leben nehmen wird. Es ist eine ganz schwierige Zeit für mich.“

Er bekämpft die dunklen Stunden mit Konditionstraining und physischer Schinderei, seinen Verbündeten gegen Depressionen. „Immer wenn ich deprimiert bin, gehe ich in den Kraftraum. Ein guter Trainingspass befreit mich von allem Stress. Ich muss meinem Stress glatt dafür danken, dass er mich so gut in Form hält“, grinst er.

Trotz seiner Lebensgeschichte, die Stoff für mehrere Seifenopern bietet, verliert Sanjay selbst in den trübsten Situationen nicht seine positive Stimmung. „Es sind die kleinen Freuden des Lebens, die mir am meisten bedeuten. Ich hänge nicht auf Parties rum und gehe in keine Disco. Ich liebe es, mich zu Hause mit meiner Familie oder ein paar Freunden zu entspannen. Ich koche für meinen Vater, wenn er vorbeikommt, er liebt mein Hähnchen in Wein. Im Grunde bin ich immer noch ein Kind; deshalb werde ich ja auch immer noch Baba genannt.“

Dutt jr. gibt zu, dass ihn die vergangenen Jahre seinem Vater nähergebracht haben. „Er ist der einzige Mensch, den ich wirklich bewundere. Ich habe erkannt, dass es Krisen sind, die die Menschen zusammenbringen. Dad war der Stützpfeiler meiner Stärke. Er war einfach phantastisch.“

Auf die Frage, ob er irgendetwas in seinem Leben bereut, antwortet er, ohne zu zögern: „Nein, ich bedaure nichts von all dem, was ich je getan habe. Und ich schäme mich auch wegen nichts, obwohl ich meine Fehler gemacht habe. Die Drogenphase zum Beispiel möchte ich auf keinen Fall noch einmal erleben. Ich bin ganz und gar gegen Drogen. Wenn ich auf einer Party bin, auf der Drogen ausgegeben werden oder Kokain geschnupft wird, dann drehe ich mich nicht einfach um und gehe, sondern versuche, den Leuten die Drogen auszureden. Ich bin immer für Drogenabhängige da, wenn sie mich brauchen. Und das meine ich auch so, das sage ich nicht einfach nur, um Effekt zu schinden.“

Wenn er heute drei Wünsche frei hätte, was würde er sich wünschen? „Dass meine Mutter noch am Leben wäre. Dass meine Tochter Trishala hier bei mir wäre. Und dass die ganze Sache mit den Bombenexplosionen nie stattgefunden hätte.“

Während seine Worte verklingen, erfüllt dröhnende Musik das Studio. Der Prinz der Dunkelheit hat noch viele Meilen vor sich, bevor der Nebel sich lichten wird.

(Nilufer Qureshi; Deutsch von Diwali)

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