Montag, 26. März 2007

Tehelka 11/2006: Mahesh Bhatt über Sanjay Dutt

Tehelka, 4. November 2006

Mahesh Bhatt: "I can only hope his life now imitates Munnabhai"

Meine Beziehung zu Sanjay Dutt began in einer der ausichtslosesten Zeiten seiner frühen Karriere. Da war natürlich seine Drogensucht; er hatte auch in einer Reihe von nicht besonders beeindruckenden Filmen mitgespielt, angefangen mit Rocky, seinem Debut, dessen Anlaufen auf tragische Weise mit dem Tod seiner Mutter zusammenfiel. Ich erinnere mich, dass ich ihn bei unserem ersten Treffen als blendend aussehenden, aber eher schweigsamen Jungen ansah – zu schweigsam, sein Schweigen hatte etwas Ungesundes. Es dauerte etwas, bis ich begriff, dass das Schweigen von Drogen verursacht war. Ich hatte einige Zeit an der Idee gearbeitet, die später Naam werden sollte, und ich wusste, dass die beiden Leute, die ich für den Film wollte, Sanjay Dutt und Kumar Gaurav waren. Unsere Beziehung begann mit den häufigen Besuchen der beiden bei mir zu Hause, wo wir stundenlang über den Film und was er werden könnte sprachen. Dann war da Sanjus Bitten an seinen Vater, der nicht wollte, dass er mit anderen Produktionsfirmen arbeitete. Dutt saab hatte einen weiteren Einwand, dass die Person, mit der Sanju arbeiten wollte, auch selbst etwas merkwürdig war. Sanju war zu diesem Zeitpunkt immer noch sehr ein Kind, das an den Rockzipfeln seines Vaters hing. Ich erinnere mich an einen Besuch bei Dutt saab, um ihn zu überzeugen, seine Meinung zu ändern; in einer Ecke konnte ich Sanju nervös an den Nägeln kauen sehen, während er auf das Urteil wartete.

Bei seinem Debut war der einzige Grund, wieso über Rocky gesprochen wurde, dass es das Kind von der großen Nargis und Sunil Dutt war, das einen Vorstoß in die Filmwelt machte. In der Industrie wurde über Sanju geredet, in einem Flüstern, das eine Art Schrei ist, dass es da einen Drogensüchtigen mit leeren, toten Augen gab, einen unfähigen Schauspieler, der jedesmal ausgelacht wurde, wenn er auf der Leinwand erschien. Da war seine katastrophale Rolle in Vidhaata, wo die Zuschauer in einer gefühlvollen Szene laut lachten, weil er so untauglich war. Beruflich war er eine Totgeburt, und sein Ruf machte ihn zu einem Paria, den niemand anfassen wollte.

Aber er wollte sich unbedingt beweisen. Ich ging zu ihm nach Hause und er verschwand in seinem Zimmer und tauchte mit diesen merkwürdigen Narben in seinem Gesicht wieder auf, Narben durch Make-up produziert, das er wie eine Auszeichnung trug, um zu zeigen, was für großartige Rollen er spielen könnte. Das, was ich in ihm sah, war genau das, was ich für Naam wollte – jemand, der die Welt erobern wollte, der die Erwartungen seiner Eltern weit übertreffen wollte, aber dem die Mittel und Wege fehlten, dies zu tun. Ich wollte trotzt der Skeptiker mit ihm arbeiten, weil ich davon überzeugt war, dass das Rohstoff vorhanden war. Es waren nur Anleitung und etwas strukturelle Unterstützung durch das Drehbuch nötig, um eine gute Leistung von ihm zu bekommen.

Naam verzögerte sich sehr. Dutt saab sagte ganz klar Nein, und Sanjay verschwand plötzlich in die USA für seine Reha. Als er wiederkam, war er wie umgewandelt, er war wie eine Blume, die über Nacht in ihrem Garten aufblüht. Er kam clean zurück, er hatte den Duft des Lebens in sich. Und zu diesem Zeitpunkt überredete Kumar Gaurav Sanjays Vater, ihn nicht länger zurückzuhalten, sondern ihn Naam machen zu lassen. Dutt saab war ein überbehütender Vater, der wusste, dass sein Sohn mehr als ein Problem hatte. Er wollte ihn nicht in fremde Hände geben, aus Furcht, er würde sich ganz und gar lächerlich machen. Aber, wie das Sprichwort sagt: bheega hua aadmi barsat se nahin darta. Dutt saabs Widerstand brach einfach deswegen zusammen, weil es sonst niemande gab, der mit Sanjay Dutt arbeiten wollte, es gab keine Aussichten auf Filme, er hatte keine Karriere.

Und so fing Naam an. Die Produktion von Naam war eine der angenehmsten Erfahrungen, die ich je hatte. Sanjay, Kumar Gaurav und ich hatten sehr großes Vertrauen zueinander – Kumar Gaurav war nämlich der wichtigste Bestandteil in der Neuerschaffung von Sanjay Dutt. Hier war jemand, der ausgeglichener war, der beide Füße fest auf dem Erdboden hatte, der außerdem der Produzent war, der sich aus reiner Großzügigkeit für Sanjay aus dem Fenster hängte. Das ist etwas, was es in der Filmwelt nicht gibt. Und was Sanjay angeht, er gab diesem Film alles, er war zielstrebig, so konzentriert wie ein Pferd mit Scheuklappen, er sah einfach nichts anderes als disen Film. Es war sehr befriedigend zu sehen – vielleicht bediente es eine Art von Pygmalionkomplex, aber es gibt nichts Erfrischenderes als zu sehen, wie jemand, der abgeschrieben wurde vor deinen Augen aufblüht.

Bis jetzt stand die Industrie diesem Projekt sehr misstrauisch gegenüber. Mahesh Bhatt hatte Erfolg mit Arth und Saransh, aber, ihrer Meinung nach, selbst wenn Mahesh auch diesmal einen guten Film gemacht hatte, sein Zustellungsbote blieb Sanjay Dutt. Dann kam Naam raus und beeindruckte alle. Es stellte Sanjay Dutts tragische Dimensionen in den Vordergrund – ein Junge mit den besten Vorsätzen, dessen niyat das Allerwichtigste war, und das war es, was die Zuschauer annahmen. Naam war ein Goldjubiläumsfilm; mit ihm wurde Sanjay Dutt wiedergeboren. Als er mich das erste Mal danach besuchen kam, ich erinnere mich noch an das Lächeln, mit dem er hereinkam, das Sonnenlicht, das in seinen Haaren leuchtete, und die Dankbarkeit in seinem Gesicht, als er mich ansah. Noch nie hatte sich bei mir jemand so still und so beredt bedankt.

Sanjay Dutt ist nicht ein Mann des Wortes. Er ist eine Katastrophe, wenn er den Mund aufmacht, er kann seine Zunge nicht kontrollieren, er spricht wie ein unbedarfter Idiot. Aber was er empfindet, empfindet er mit einer Energie, die aus ihm herausbricht und einen überwältigt. Mit Leuten mit intellektuellen Ansprüchen zu verkehren hat ihm nie Freunde bereitet. Die Sprache, die er verwendet, war schon damals die der einfachen Leute – eine Umgebung, in der grob gesprochen und geflucht wurde, sagte ihm zu. Je reiner man ist, desto weiter ist man von Sanju entfernt. Je gröber man ist, desto echter erscheint man ihm. Alles Kultivierte macht ihn misstrauisch.

Eines der Dinge, die ich beim Arbeiten mit ihm toll fand, war die Erleichterung, einem Schauspieler zu begegnen, der nich narzisstisch war. Ich erinnere mich daran, während Naam gedacht zu haben: Der Typ schert sich nicht darum, wie er auf der Leinwand aussieht, er überlässt das dem Kameraman und macht einfach, was er tun soll. Und das in einer Industrie, in der Männer (und zwar Machos, nicht nur die Schönlinge) alles dafür geben zu kontrollieren, wie sie auf der Leinwand aussehen – Beleuchtung, beste Seite, beste Einstellung – wie Frauen Stunden vor dem Spiegel verbringen, bevor sie zu drehen bereit sind. Nicht Sanju. Es war eine Erleichterung, einen Mann zu finden, der keine Ehrfurcht vor seinem eigenen Körper hatte. Ich glaube nicht, dass ich in meinem ganzen Leben einen Schauspieler gefunden habe, der diesem Anspruch entsprach.

Es ist eine Eigenheit, die bei ihm auch in anderer Form zu sehen ist. Sanju hat seine körperlichen Vorzüge nie ausgebeutet, oder wegen seiner Herkunft Status für sich in Anspruch genommen. Er hat sich nie so verhalten, als ob er zur Bollywoodaristokratie gehörte, Kind zweier Leinwandlegenden, die auch zu den Wenigen in der Industrie gehörten, die durch ihr soziales Engagement echte Sorge für unsere Welt zeigten. Ich denke nicht, dass es wahr ist zu sagen, dass der Mühlstein der Größe seiner Eltern ihn belastete. Darum ging es nicht. Er war einfach immer ein Mann der kleinen Leute, der sich unter Fahrern, Maskenbildnern und Beleuchtern am wohlsten fühlte.

Wir sind uns sehr ähnlich, er und ich. Wir haben beide eine suchtgefährdete Persönlichkeit – passenderweise war es Sanju, der mich dazu brachte, Alkohol aufzugeben, nachdem er aus der Reha zurückkam, er brachte mich dazu, einzusehen, dass Alkoholismus eine Krankheit ist und dass ich süchtig war. Wenn ich jetzt seit 18 Jahren keinen Tropfen angerührt habe, dann ist das dank Sanjay Dutt und der Art, in der die Begeisterung eines bekehrten Süchtigen auf andere abfärbte. Eine suchtgefährdete Persönlichkeit ist eine ganz besessene, getrieben von dem, wofür sie sich begeistert. Bei uns gilt es: ganz oder gar nicht. Wir sind nie halbherzig. Wenn wir eine Beziehung anfangen, dann umfasst sie alles; wenn wir uns für unsere Filme begeistern, die, an die wir glauben, dann geben wir ihnen alles. Deswegen sind die Filme, die Sanjay und ich machten, entweder brilliant oder furchtbar schlecht – entweder man gibt ihnen alles oder man gibt ihnen gar nichts. Das verstärkt sich andauernd – man macht einfach weiter, weiter, und weiter.

Das Verhalten einer suchtgefährdeten Persönlichkeit speist sich aus Qualen, aus einer Wunde, die tief im Inneren vor sich hin eitert, deren Schmerz man durch Drogenmissbrauch, durch exzessives Arbeiten oder durch die Suche nach Applaus und Anerkennung zu lindern sucht. Der Schatten im Kerzenschein ist ein Geheimnis, das wir unser ganzes Leben zu lösen versuchen müssen, selbst wenn wir sterben, ohne den Schlüssel zu finden. Wenn ich an Sanjay denke, sehe ich einen Mann, der seinem eigenen Albtraum nicht entkommen kann. Er ist jemand, der in einer Höllenfestung gefangen ist, er hat das, was er ereicht hat, in ihr erreicht, aber er konnte sie nie verlassen. Glück kommt nur zu ihm, um ihm mehr Leiden zu bringen. Für Sanjay existieren Glück und Unglück nicht in einer linearen Reihenfolge, sondern sie sind beide im selben Augenblick vorhanden.

An dem Tag als die Babri masjid fiel, began eine neue Geschichte Indiens. Bollywood veränderte sich, wie sich auch Indien veränderte. Ich erinnere mich, wie, als die Nachrichten am Abend kamen, eine wachsende Unsicherheit uns mit der voranschreitenden Nacht überkam. Wir wussten, dass Mumbai einen hohen Preis bezahlen würde. Wie erwartet begannen Unruhen, aber sie wurden schnell beigelegt. Wir atmeten auf – Mobausschreitungen waren etwas, das in UP oder Bihar passierte, nicht im säkularen, kosmopolitischen Mumbai. Dann kam Januar – eine Hindu Familie wurde lebendig in ihrem Haus in Jogeshwari verbrannt; Hindu-Dockarbeiter wurden in Crawford Market erstochen. Und die Hölle brach vor unserer Haustür los. Das ist ein Mumbai, dass ich nicht kannte, und ich bete, dass ich es nie wieder sehen werde.

Sunil Dutt wurde zu unserem Helden, eine säkulare Ikone in jener Zeit, und wir trafen uns in seinem Haus, um Hilfe für die von dem Aufruhr Betroffenen zu organisieren. Einmal arrangierte Dutt saab eine Repräsentationsgruppe, um den Chief Minister Sharad Pawar zu treffen. Ich werde diese Fahrt nie vergessen. Mumbai war eine Geisterstadt. Verängstigte Gesichter sahen einen durch versperrte Fenster an, die Straßen waren leer bis auf die Überreste abgebrannter Läden und die überall anzutreffenden Polizeipatroullien. Wir trafen den Chief Minister und einige hochrangige Congressführer. Ich glaube, es war Murli Deora, der mir damals sagte, dass Mumbais 38.000 Mann starke Polizei mit der Situation nicht fertig wurde, dass wir am Rande eines Bürgerkriegs standen. Damit wurde bestätigt, was bis dahin nur ein Gerücht gewesen war – die Polizei verhinderte das Massaker nicht, sondern sie dirigierte es. Ich erinnere mich daran, wie ich Stunden bei Dutt saab zu Hause verbrachte, und Muslime kamen aus Behrampara, Bandras größtem Slum, und erzählten uns, das die safranfarbenen Brigade sogar die losen Steine aus der Gegend, in der sie lebten, entfernt hatten, so dass sie sich nicht mal mit denen während eines Angriffs verteidigen könnten – es war alles so gut durchdacht. Dutt saab trat in dieser Zeit zurück. Ich erinnere mich an sein Gefühl der Hilflosigkeit, an ein wachsendes Gefühl der Ohnmacht bei uns allen. Mir wurde während dieser Wochen bewusst, wie vergänglich die Machtansprüche sind, die Leute aus der Unterhaltungsindustrie machen. Selbst ein Schauspieler vom Range eines Naseeruddin Shah war so verletzlich. An dem Tag, als wir den Chief Minister trafen, da gab es einige sehr große Namen bei uns, die nicht ein Auto mit einem muslimischen Schauspieler teilen wollten, aus Angst, erkannt und auf dem Weg aufgehalten zu werden. Einmal fuhren wir von einem Gebetstreffen zurück, und Naseer wollte, dass ich Dutt saab, den er als senior ansah, fragte, ob er in Indien bleiben oder darüber nachdenken sollte, nach Mauritius zu gehen. Er war ein Muslim, der mit einer Hindu verheiratet war, und beide Seiten hatten ihn auf der Abschussliste. Wir brachten Naseer nach Hause, es war kurz vor der Ausgangssperre, und Dutt saab hielt Naseers Hand und sagte, Ich weiß, die Umstände sind sehr schlecht, aber wir drei werden uns an den Händen halten und dieses Land wiederaufbauen, wir werden dies nicht zulassen. Ich werde nie vergessen, mit welcher Ernsthaftigkeit er das sagte.

Ich verbrachte während dieser Tage fast meine ganze Zeit bei den Dutts. Es war ein Zufluchtsort, wo Leute auf der Suche nach Hilfe, Geld, emotionaler Unterstützung hinkamen – und Dutt saab und seine Familie gaben das alles.

In jenen Tagen wurde von einer ethnischen Säuberung gesprochen. Gerüchte kamen uns zu Gehör: Sagt nichts über ein säkulares Indien, setzt euch nicht für Muslime ein, weil Bal Thackeray genau darauf achtet, wer sie unterstützt und wer nicht. Das war auch der Zeitpunkt, zu dem einige der sogenannten säkularen Gesichter der Stadt ihre Zähne zeigten. Einmal unterhielt ich mich mit einem bekannten Autor und Angehörigen der oberen Gesellschaftsklasse darüber, was für brauchbare Optionen unsere muslimischen Freunde haben könnten, und sie sagte: Sie sollten weggehen, denn wenn sie nicht von selber gehen, werden wir sie in die Arabische See drängen. Es war so krass. Ein anderes Mal drehte ich mit Naseer für Sir an einem Ort in Andheri and einer unserer unit boys kam zu mir und gab mir eine Nachricht in Hindi: Mussalmanon ki madad mat kijiye, achcha nahin hoga. Anscheinend war sie mir geschickt worden, weil ich versucht hatte, Armeeunterstützung für einen unserer Beleuchter zu organisieren, der in den Slums feststeckte. Ich tickte aus, ich schrie, wer ist der Sch*******, der es wagt, mir das zu schicken, ich versuche doch nur, einen von uns zu beschützen, einen unserer Beleuchter; wenn morgen einer von den Hindus in Schwierigkeiten ist, würde ich doch dasselbe machen.

Und dann kamen die Explosionen. Das Ausmaß der Anschläge war brutal. Meine Frau war hochschwanger mit Aaliya, unserer jüngsten Tochter, und ich musste sie zu einer Vorsorgeuntersuchung bringen. Als es vorbei war, sagte der Arzt: Vor zwei Stunden habe ich mit diesen Händen amputierte Gliedmaßen aufgehoben, es ist so seltsam, jetzt den Herzschlag des Lebens zu spüren. Eine Friedhofsruhe senkte sich über Mumbai – eine Ausgewogenheit des Terrors war erreicht worden. Es folgte das ganze Drama der Verhaftungen – die Polizei schaltete auf aggressiv um, Muslime wurden aufgegriffen, vor der Presse vorgeführt, Dawood wurde als der Architekt der ganzen Angelegenheit benannt – und jede Chance, die rechten Hindutva-Kräfte zur Rechenschaft zu ziehen, verschwand. Die Explosionen löschten alle ihre Verbrechen aus. Das passiert, wenn die Suche nach Gerechtigkeit vom Durst nach Rache überholt wird – der Feind gewinnt an Macht, der, der dein Heim in eine Hölle verwandelt hat. Ich habe einige Muslime sagen hören, dass sie froh waren, dass die Explosionen geschehen waren – jetzt wissen sie, dass sie Muslime anders behandeln müssen, sagten sie. Das hat mich genauso schockiert wie als ich Hindus sagen hörte, dass sie es verdient haben, sie sollten ins Meer getrieben werden. Beide Seiten würden jeden entsetzen, der nicht ein Opfer religiöser Überzeugungen war. Wie ich unauslöschlich gelernt habe: Ungläubige töten nicht, es sind die Gläubigen, die töten.

Ich habe in Mysore gedreht, als ich hörte, dass die Polizei Sanju im Visier hatte, der zu der Zeit auf Mauritius war. Ich wurde durch einen Zeitungsartikel darauf aufmerksam – die Polizei hatte bekanntgegeben, dass Sanjay Dutt der Empfänger einer großen Waffenlieferung war, und dass er Granaten und ein AK-56-Gewehr in seinem Besitz hatte. Es erschien so unglaubwürdig, wie die Art von Geschichten, die wir in Filmen verwenden. Genau dann, wenn für den Helden alles gut läuft, entscheiden wir, dass wir sein Schicksal ändern wollen, und wir führen ein solches Klingeln an der Tür ein. Aber da war etwas in diesen Nachrichten, das mich aufmerken ließ. Eine Art Instinkt sagte mir, dass die Dinge für Sanju nicht gut gehen würden, und nicht für uns, die ihm nahestanden.

Als ich zurück nach Mumbai kam, hatte sich das Drama vergrößert. Fast alle, die mit Sanju und mit der Filmindustrie verbunden waren, sprachen davon, und es wurden alle möglichen Geschichten erzählt – dass er Dawoods Leuten erlaubt hatte, während der Unruhen ihr Fahrzeug in seinem Anwesen abzustellen, dass das Fahrzeug RDX enthielt, dasselbe, das später für die Explosionen benutzt wurde. Und dann wurde Sanju verhaftet und das Schlimmste war passiert. Die Mehrheit der Filmindustrie stellte sich hinter Dutt saab, aber er blieb ein einsamer Mann, tapfer, aber alleine. Alles, was ich jedem, der bereit war zuzuhören, sagen konnte war: Sanju kann etwas Dummes getan haben, er ist ganz und gar fähig, ein Idiot zu sein, aber er kann kein Verbrecher sein. Er kann in keinem Fall etwas über die mehrfachen Explosionen gewusst haben. Da waren die, die betonten, dass das Gewehr, um dessen Zerstörung er gebeten haben sollte, gefunden worden war. Zu ihnen sagte ich, dass ich bereit war zuzugestehen, dass er das Gewehr aus Verfolgungswahn genommen haben könnte, oder aus einer Rambo-artigen Haltung heraus, die aus seinem straffälligen Verstand entspringt. Aber wenn sie behaupten, dass er Krieg gegen die Nation führte, Hochverrat beging, RDX anbrachte, um unschuldige Menschen zu töten – nur über meine Leiche. Das ist nicht Sanjay Dutt, keine seiner Zellen könnte irgendetwas auf noch so entfernte Weise mit so einer Tat zu tun haben.

Eines Tages bat mich Dutt saab, ihn zum Crawford Market Gefängnis zu begleiten, wo Sanju festgehalten wurde. Ich weiß nicht, warum er das tat – ich war nicht sein Favorit, Dutt saab hatte nie Favoriten, aber aus irgendeinem Grund nahm er an, dass er sich auf mich stützen konnte. Wir kamen bei der Crawford Market Polizeistation an, um uns herum waren nur Polizisten, wir waren die einzigen Zivilisten. Dutt saab sah zerbrechlich aus, aber er ging mit vorgestreckter Brust und hochgehaltenem Kinn. Als das geschah, war die Polizei sehr großzügig und behandelte uns sehr respektvoll. Sanju wurde gerufen. Er lächelte noch und sah noch frisch und warm aus. Ich werde dieses Gespräch nie vergessen – unser Versuch, das, was passiert war, runterzuspielen, es so erscheinen zu lassen, dass die Schwierigkeiten schnell vorbeigehen würden. Es war das erste falsche Gespräch, das wir je hatten. Wir beide versteckten die echte Furcht, die an uns nagte, und versteckten sie stattdessen unter einer Auch-dies-wird-vergehen-Decke.

Als wir gingen, sagte Dutt saab plötzlich, lass uns zu Sharad Pawar gehen. Das taten wir, und Pawar fragte mich während des Gesprächs, was ich von der ganzen Sache hielte. Ich sagte zu ihm, was ich bereits überall gesagt hatte. Sharad Pawar stimmte mir zu und sagte, dass seine Leute zu ähnlichen Ergebnissen kämen. Dutt saab sollte sich keine Sorgen machen, sagte er, Sanju würde in ein oder zwei Tagen entlassen werden, es war etwas, das ertragen werden musste, weil es ein so großer Fall war. Dutt saab stimmte zu und sagte, natürlich, auf keinen Fall sollte Sanju nicht durch den Schmelztiegel des Verdachts gehen, lass ihn sauber daraus hervorgehen. Als wir gingen, bat mich Dutt saab, mit niemanden über dieses Treffen zu sprechen; wir würden einfach die Daumen drücken. Und dann wurde Sanju vor das Tada-Gericht gebracht und zu Gefängnis verurteilt, entgegen aller Versprechungen. Alles war zu Ende. Der Versuch der Industrie, ihn zu unterstützen, starb. Die BJP und der Shiv Sena waren empört. Das Leben imitierte das Kino – Sanju war wie der Protagonist in Naam, der Kumar Gaurav ansieht und sagt, hol mich raus, hol mich raus aus dieser Hölle.

Während der nächsten Monate hörten wir herzzerreißende Geschichten über Dutt saab, der immer wieder zur Arthur Road ging, und Geschichten über Sanju im Gefängnis. Mit der Zeit, als seine Anträge auf Kaution immer wieder abgelehnt wurden, kam uns zu Gehör, dass der stolze Sunil Dutt, ein Mann, der nie irgendwelchem Druck nachgegeben hatte, nun doch nachgab und etwas Unerhörtes tat – er ging zu Bal Thackeray, dem Architekten des Blutvergießens nach dem Babri-masjid-Vorfall. Die Umstände hatten Sunil Dutt zu einem Punkt gebracht, wo der Vater gegenüber dem politischen Vorbild, das wir kannten, an Oberhand gewann.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die rechtsgerichtete Hindu-Partei die Macht in Maharashtra. Bal Thackeray war König und die Zeichen standen an der Wand – wenn man Ausschreitungen organisiert, kommt man ins Machtzentrum. Die Frage auf den Lippen eines jeden Muslims im Bhendi Bazaar, die Frage, die sie nicht zu flüstern wagten, war: Wie kann eine Gruppe von Menschen den Tod von tausend Menschen verursachen und dann eine Regierung bilden dürfen, und wie kann eine andere Gruppe von Menschen das Sprengen von Gebäuden und den Tod von 350 Menschen organisieren und dann Terroristen genannt werden? Wie unterscheidet man zwischen den beiden? Weder die Medien noch irgendein Politiker, nicht einmal die Opposition, wagte das zu formulieren: Wieso wurde so scharf gegen die Täter, die die Explosionen verursachten, vorgegangen, während nichts getan wurde, um die Täter, die die Massaker in Mumbais Straßen begingen, zur Verantwortung zu ziehen? Das ist der Fluch Indiens und der Menschheit – solange man nicht bereit ist, Dawood und Bal Thackeray auf dieselbe Anklagebank zu setzen, wird man keine Gerechtigkeit finden.

Einea Tages ermöglichte es mir unser Freund Yash Johar, mit dem wir Gumrah produziert hatten, in dem Sanju mitgespielt hatte, Sanju im Gefängnis zu treffen. Dies war einige Tage, bevor er freigelassen wurde. Was ich sah, war herzzerreißend – seine Haare waren viel länger, er war unrasiert. Er trug eine Menge Malas um seinen Hals. Mir wurde gesagt, dass er sehr religiös geworden war. Ich fühlte mich schrecklich schuldig, es war die Schuld eines Überlebenden, einfach deswegen, weil man nach der Katastrophe noch am Leben ist. Er verstand das. Er hatte sich mit seinem Zustand abgefunden.

Dann kam die Erleichterung. Der Supreme Court gewährte ihm endlich Kaution, dank der Unterstützung von Bal Thackeray. Der Staat spielte in seiner Freilassung eine wichtige Rolle, für die die Familie Dutt sehr dankbar ist. Es ist wahr, dass Thackeray den Staat daran hinderte, eine völlig unbeugsame Haltung einzunehmen. Aber für mich verdüstertete das die Situation nur noch mehr. Wenn man davon ausgeht, dass Sanju die Waffe besaß (obwohl er seine Aussage zurückgezogen und gesagt hat, dass er sie nicht besaß), dann ist das eine Situation, in der man erst den Verfolgungswahn in den Menschen so steigert, dass ein Mann sich genötig fühlt, sich zu bewaffnen, und wenn er es dann tut, wird er deswegen verhaftet. Dann spielt man Gott und setzt ihn frei. In beiden Situationen ist man der Gewinner. Man verwundet, und man ist derjenige, der die Wunder verbindet. Egal ob man kommt oder geht, es gibt keinen Ausweg.

Sanju rehabilitierte sich nach seiner Freilassung mit einem großartigen Comeback. Die Zuschauer begrüßten ihn – seine Schlichtheit machte ihn für sie sympathisch. Letzten Endes lieben dich die Zuschauer für das, was du bist, und Sanjay Dutt is ein einfacher Mensch, er hat einen gewinnenden Kern, er ist ein großzügiger Mann. Zuschauer haben die Fähigkeit, dass zu sehen. Und unsere Landsleute haben die Intelligenz und die intuitive Fähigkeit abzuschätzen, dass dieser Mann unmöglich einer der Urheber der Explosionen gewesen sein kann. Um es glasklar zu sagen: Sanju ist nur des Waffenbesitzes angeklagt, das ist etwas, was vor Gericht bewiesen werden muss. Seine Zuschauer finden nicht, dass das, wessen er angeklagt ist, so ein schreckliches Verbrechen ist. Und ich glaube auch nicht, dass der einfache Mann übersieht, wie die Lage in Mumbai in jenen Tagen war.

Sanjays andere Probleme mit dem Gesetz waren dagegen besorgniserregend – die Offenbarung seiner weiterhin vorhandenen sozialen Kontakte zur Unterwelt waren etwas, was uns allen peinlich war. Es beschämt einen, wenn Sanjus Kritiker uns entgegenhalten: Hier ist euer Sanjay Dutt, der auf Kaution frei ist und mit der Unterwelt spricht. Ich kann nie auch nur einen Moment vorgeben, dass ich nicht von meiner Zuneigung zu Sanju geblendet bin, aber ich habe nichts dagegenzuhalten, wenn sie das sagen. Das einzige, was ich anbieten kann, ist, wie Ram Jethmalani im Bharat-Shah-Fall argumentiert hat, dass eine Verbindung etwas anderes ist als Kommunikation. Wenn eine Kommunikation nicht in krimineller Aktivität mündet, ist sie keine Verbindung. Andere Leute weisen manchmal darauf hin, dass der Terror der Unterwelt in Bollywood eine Tatsache ist. Nach dem Mord an Gulshan Kumar wurde die Nachricht laut und deutlich verkündet: Die Unterwelt ist viel mehr in der Lage, einen zu erreichen, als der Staat in der Lage ist, einen zu schützen. Falls man sicher leben will, muss man eine gute Beziehung zu den Dons pflegen. Ich persönlich halte nichts von dieser Einstellung. Man kann keine Philosophie aus seiner Furcht machen. Es ist möglich, sein Leben in Würde zu leben. Furcht ist die erniedrigendste Angelegenheit, sie macht schreckliche Dinge mit Leuten. Aber man kann sie nicht benutzen, um das Scharwenzeln vor dunklen Mächten zu rechtfertigen. Wenn Sanju sogenannte “soziale Kontakte” mit der Unterwelt aufrechtgehalten hat, kann er dafür vom Gesetz nicht zur Verantwortung gezogen werden. Ob er dies hätte tun sollen, ist eine andere Frage. Ob er Freunde in der Unterwelt haben will, ist etwas, wofür er sich zu verantworten hat.

Sanjay ist jemand, der den Beschützerinstikt in mir weckt. Nach so vielen Jahren des Umgangs mit ihm kann er mich unglaublich wütend, fast rasend machen, manchmal verstört mich das, was er tut oder sagt, aber wenn ich zusammenfassen sollte, was ich für ihn empfinde, würde ich sagen, dass er mich dazu bringt, zu lächeln. Wenn man ihn ansieht, will man ihn in die Arme nehmen, man will ihm einen über den Schädel ziehen, und dann will man ihn nochmal umarmen. Er lässt einen nur Wärme spüren. Er ist ein Freund, der zu mir gestanden hat, und ich stehe zu ihm. Er hat diese leichtsinnige Ader. Er ist immer ein Schuljunge geblieben – so sehe ich ihn, für ihn ist die Zeit in der Schule stehen geblieben. Er erscheint manchmal so, als wäre er dazu prädestiniert, aus eigenem Antrieb auf seinen Untergang zuzurasen, während seine Freunde und Verwandten hilflos danebenstehen. Mit Sanju in seiner jetzigen Situation kann ich nur sagen, dass ich zwischen Furcht und Hoffnung schwanke. Man kann nur für ihn und mit ihm weinen.

Wenn man jemanden gut kennt, kennt man seine Tragödie, und ich kenne Sanjay Dutts Tragödie. Die Tragödie ist, dass es da eine überwältigende Einsamkeit gibt, die ihn auffrisst und die kein Feuer, kein Erfolg, kein Ruhm jemals befriedigen kann. Er kann ihr nur entkommen, indem er die Einsamkeit anderer Menschen berührt, in der wirklichen Welt, nicht in der virtuellen.

Für mich gibt es drei von Sanjus Rollen, die ihn selbst verkörpern: Naam, Vaastav und Munnabhai. Bei Munnabhai wünsche ich mir nur, dass Dutt saab hier wäre und sehen könnte, wie nach der Rolle seiner Frau in Mother India nun ihr Sohn die Vorstellungskraft des Landes mit seinem Ausdruck des Geistes Gandhis in seinen Bann gezogen hat. Nach Nargis hat nur ihr Sohn denselben Status in der virtuellen Welt erreicht. Nun ist es an der Zeit für Sanjay Dutt, in der Realität das zu erreichen, was er in der virtuellen Welt erreicht hat – Schritt für Schritt aufzubauen, was Sunil Dutt in der Realität aufgebaut hat. Man muss in die Realität investieren. Das ist, denke ich, der Weg, der vor Sanju liegt. Nur wenn er den Schmerz anderer auf dieselbe Weise annimmt, wie es sein Vater tat, dann wird er sich von seinem eigenen Schmerz befreien können.

Ich war nach Dutt saabs Tod an Sanjus Seite. Als wir in den Leichenwagen stiegen, der Dutt saabs sterbliche Überreste zum Krematorium bringen sollte, wendete der Wagen und wir sahen dieses Menschenmeer vor uns, alle Arten und Klassen von Menschen, die gekommen waren, um von Dutt saab Abschied zu nehmen. Sanju und ich sahen uns an und ich sah etwas, was ich noch nie in seinem Gesicht gesehen hatte. Nur durch Sunil Dutts Tod wurde Sanjay Dutt klar, was für einen Beitrag sein Vater zum Leben der Menschen geleistet hatte. Und er war beschämt, eingeschüchert von den überwältigenden Gefühlen, die von der Menge zu ihm kanen. Er hat das nicht empfunden, als der Premierminister kam, oder als der Präsident des Kongresses kam – da sah ich diesen Gesichtsaudruck nicht. Ich sah ihn, als wir auf dem Weg zum Krematorium waren. Ich sah ihn an und ich sagte, Sanju. Und er sagte: Das ist es, was er war. O mein Gott.

Ich denke, an dem Tag hat etwas bei ihm gezündet, und vielleicht ist es das, was er zu seiner Rolle in Munnabhai beigetragen hat, deswegen ist Munnabhai mehr als ein Film geworden, es ist eine Erfahrung geworden. Eine Erfahrung, die Sanju hatte, die er für die Zuschauer übersetzen konnte.

Für jemanden, dessen Lebensablauf seine Filmcharaktere nachzuahmen scheint, kann ich nur hoffen, dass sein Leben jetzt Munnabhai nachahmt. Vielleicht werden wir dann die Geburt eines neuen Sanjay Dutts sehen, ein neuer Mann wird zum Vorschein kommen. Ein ausgeglichenerer, traurigerer, großzügigerer Mann, mehr dazu getrieben, in der wirklichen Welt zu dienen, nicht nur in der virtuellen. Dazu getrieben, mit seinen eigenen Händen die Zukunft des Landes aufzubauen, für das seine Mutter und sein Vater so viel gegeben haben und das ihm so viel gegeben hat. Vielleicht ist dies der Punkt, wo er sich davon löst, den Kriminellen zu geben, der ein tragisches Ende findet, und wo er die Naams und Vaastavs hinter sich lässt, um ein Mann zu werden, der eine Verwandlung durchmacht, der der Raupe erlaubt, ein Schmetterling zu werden und Fliegen zu lernen.

(Shyama Haldar; Deutsch von gebruss)

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