Hindustantimes, 3. Dezember 2006
Karan Thapar: Sanjay Dutt, so wie ich ihn kenne
Ich kann nicht behaupten, Sanjay Dutt gut zu kennen. Aber das, was ich von ihm kenne, mag und respektiere ich gleichermaßen. Ein Mann ohne Falsch. Einfach, kindlich, sanft und aufrichtig. Und er hat keinerlei Skrupel, über seine Fehler und Schwächen zu sprechen. Ich kenne nur ganz wenige Menschen mit dieser Fähigkeit, so schonungslos ehrlich mit sich selbst zu sein.
1991 trafen wir uns zum ersten Mal. Das war ein Jahr vor der Einführung des Satellitenfernsehens. Damals wurden unabhängige Nachrichten noch auf Videokassetten herausgegeben, die man sich in der örtlichen Bibliothek ausleihen konnte! Selbst wenn sie schon einen Monat alt waren, galten sie immer noch als nagelneu. Ich produzierte damals die “Eyewitness”-Nachrichten.
Ein kleiner Zeitungsartikel animierte mich damals dazu, Kontakt mit Sanjay aufzunehmen. Er hatte in einer Universität in Kalkutta über seine Drogensucht gesprochen, und ich dachte, dass ich auf der Basis dieses Themas bestimmt ein tolles Interview mit ihm führen könnte. Also stöberte ich ihn im Grand Hotel auf und kam irgendwann nach Mitternacht zu ihm durch. Zu meiner Freude sagte Sanjay zu und flog zwei Wochen später für die Aufnahme nach Delhi.
Seine Offenheit verblüffte mich. Die Geschichte, die er uns erzählte, war vielleicht nicht tiefgreifend, aber sie war beängstigend ehrlich. Er verzichtete auf peinliche Details ebenso wie auf Euphemismen. Am Ende fragten wir ihn, wie er von den Drogen losgekommen sei, und wenn ich mich recht erinnere, antwortete er: “Eines Nachts kam ich nach Hause, schloss die Tür und kippte um. Ich schlief zwei Tage lang, der alte Diener unserer Familie bekam mich nicht wach. Als ich dann endlich aufwachte, fand ich ihn in Tränen aufgelöst vor meiner Tür. Er dachte, ich sei gestorben. Aber das Schlimmste war, dass ich mich an nichts erinnern konnte. Damals kam ich zu dem Schluss, dass das Ganze schon viel zu weit gegangen war.”
Ich fragte mich, ob ich wohl imstande wäre, so offen und ehrlich über meine eigenen Fehler zu reden. Oder ob ich nicht hier und da etwas weglassen oder beschönigen, die wirklich schrecklichen Momente nur streifen und dafür die kleinen Erfolge auf meinem Weg groß herausstellen würde. Ich glaube nicht, dass ich mich meinen Fehlern mit dem gleichen Mut und der gleichen Stärke stellen könnte.
Das nächste Interview fand neun Jahre später statt, diesmal für die BBC. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sanjay sechzehn Monate im Gefängnis verbracht und brauchte, da er auf Kaution frei war, eine Genehmigung, um Bombay zu verlassen. Er kam direkt vom Flughafen in unser Studio Jamia Millia Islamia. Ich weiß noch, dass es ein außergewöhnlich kalter Dezemberabend war.
“Kann ich mich schnell irgendwo waschen?” fragte Sanjay, als er das Studio betrat. Eigentlich eine ganz normale Frage; das Problem war nur, dass das Jamia nur einen unbeleuchteten Waschraum mit feuchtem Fußboden hatte, in dem es weder Seife noch warmes Wasser gab.
Ich fing an, mich deswegen zu entschuldigen, worauf Sanjay in lautes Lachen ausbrach und sagte: “Denk dir nichts. Vergiss nicht, dass ich im Knast war – dagegen ist das hier ein Fünf-Sterne-Hotel!”
“Einen Moment, Sanjay”, sagte unser Regisseur Vishakh Rathi, dem gerade eine Lösung eingefallen war. “Ich habe noch einen Streifen Papierseife.” Und er beförderte aus seiner Brieftasche ein zerknittertes Päckchen zutage, das er sich einige Monate zuvor bei einer Bahnfahrt gekauft hatte. “Mehr brauche ich nicht”, konstatierte Sanjay und verschwand in der Dunkelheit eines kalten Jamia-Waschraums, legte die Jacke ab, knöpfte sein Hemd auf und wusch sich Gesicht und Hände.
Keiner der damals Anwesenden dürfte dieses Ereignis jemals vergessen, und das aus einem ganz simplen Grund. Denn kein anderer als Sanjay – und ich meine definitiv kein anderer Schauspieler – hätte diese Situation akzeptiert, das Problem runtergespielt und sich ohne Klagen mit den rudimentären Waschmöglichkeiten zufriedengegeben, die wir zu bieten hatten. Ich an seiner Stelle wäre wahrscheinlich gegangen!
Im vergangenen Monat habe ich Sanjay noch einmal interviewt, drei Wochen vor der Urteilsverkündung. Ich wollte mit ihm darüber sprechen, wie er sich auf den Tag der Entscheidung vorbereitete, aber ich war mir nicht sicher, ob er zusagen würde. Ich an seiner Stelle hätte es abgelehnt. Es wäre mir zu zudringlich erschienen, und ich hätte meine Verletzlichkeit nicht offen zur Schau stellen wollen. Sanjay jedoch war einverstanden.
Ganz am Ende fragte ich ihn, wie er auf einen Freispruch reagieren würde. “Ich weiß nicht”, erwiderte er. “Vermutlich werde ich in Tränen ausbrechen.”
“Und wenn, was Gott verhindern möge, das Urteil gegen dich ausfällt?”
Er hielt inne. Ein Schatten schien über sein Gesicht zu gleiten. Für mich damals ein Ausdruck von Schmerz oder Leid.
“Ich werde mich ihm stellen”, sagte er sanft. “Ich muss es.”
Ich glaube ihm. Seine Stärke wird ihm über die Monate, vielleicht Jahre hinweghelfen, die vor ihm liegen und auf die er sich nun vorbereitet. Welche Fehler auch immer er begangen haben mag, er ist ein wunderbarer Mensch.
(Deutsch von Diwali)
Das letzte Interview, das Karan Thapar in dieser Kolumne erwähnt, ist das Devil's Advocate Interview; eine deutsche Zusammenfassung von mir gibt es in diesem Blog.
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