Zur Story: Ballu Balram (Sanjay Dutt), Auftragskiller im Dienst von Roshan Mahanta (Pramod Muthu), ist der meistgesuchte Verbrecher des Landes. Nach dem Mord an einem Politiker gerät er in die Fänge der Polizei unter Inspektor Ram Kumar Sinha (Jackie Shroff), doch schon nach kurzer Zeit gelingt ihm die Flucht aus dem Gefängnis, wodurch Rams Ruf in der Öffentlichkeit schwer beschädigt wird. Um ihm zu helfen, schleust sich seine Verlobte Ganga (Madhuri Dixit), die als Sub-Inspektor in einem Frauengefängnis arbeitet, auf eigene Faust als Tänzerin in Ballus Bande ein und begleitet ihn auf seiner Flucht. In dieser Zeit lernt sie den Menschen Ballu genauer kennen. Seine Liebe zu ihr vermag sie zwar nicht zu erwidern, doch entwickelt sie so viel Verständnis für ihn, dass sie, als sie von der Polizei gestellt werden, ihm ermöglicht, erneut zu entkommen. Während Ganga verhaftet und wegen Verrats angeklagt wird, begegnet Ballu nach sechs Jahren zum ersten Mal seiner Mutter (Rakhee Gulzar) wieder - um zu entdecken, dass sie inzwischen mit Ram zusammenarbeitet (um ihren Sohn zu retten). Wieder einmal fühlt sich Ballu von aller Welt betrogen und verfolgt fortan nur noch ein Ziel: der größte Schurke überhaupt zu werden...
Es war eine Ironie der Geschichte - eine bittere Ironie, wohlgemerkt -, dass Khalnayak 1993 gerade zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres avancierte, während gleichzeitig die Fiktion für Sanjay Wirklichkeit wurde: Nach seiner Verhaftung wegen illegalen Waffenbesitzes und dem Verdacht seiner Involvierung in die terroristischen Mumbaier Bombenattentate war er nicht mehr lediglich wegen seiner Titelrolle in diesem Erfolgsfilm der "khalnayak" (= Schurke) Bollywoods. Neben den später hinzugekommenen Raghubhai und Munnabhai wird Khalnayak die Rolle bleiben, mit der man Sanju am ehesten identifiziert. Und das aus rein filmischer Sicht völlig zu Recht, denn was er als Ballu abgeliefert hat, ist allererste Sahne und eines von Sanjus grandiosesten Rollenporträts überhaupt, das ihm seine zweite Filmfare-Nominierung als Bester Schauspieler einbrachte. Insofern kann man damit leben, wenn Sanju noch heute bisweilen Khalnayak genannt wird - zumal darin ja auch noch ein schönes Wortspiel steckt, denn "nayak" bedeutet Held, weswegen in dem Film Ballu mehrfach darauf hingewiesen wird, dass in jedem Schurken (khalnayak) auch ein Held (nayak) steckt. Sanjus Khalnayak ist eines der ersten Beispiele für einen Antihelden mit Sympathiefaktor im Hindi Cinema, und bei aller Anerkennung für die Leistung eines Shahrukh Khan, zur gleichen Zeit in Baazigar und Darr ähnliche Anti-Hero-Figuren kreiert und damit "salonfähig" gemacht zu haben - aber als Alleinverdienst darf er sich das nicht auf die Fahne schreiben (was leider heute oft passiert). Den Ruhm muss er sich fairerweise mit Sanju teilen. (Ganz davon abgesehen, dass z.B. "angry young man" Amitabh Bachchan schon viel früher solche Rollen gespielt hat, u.a. 1975 in Deewar.)
Khalnayak kam 1993 in unmittelbarer Nachbarschaft von Sahibaan in die Kinos, und wer Sanju da noch als Märchenprinz in kostbaren Gewändern vor Augen hatte, dürfte sich dieselbigen in Khalnayak ziemlich verwundert gerieben haben: Ist das tatsächlich derselbe Mann?? Mahesh Bhatt hat einmal gesagt, dass er neben Sanju keinen anderen Schauspieler kenne, dem es so egal sei, wie er in einem Film aussähe, und spätestens in Khalnayak glaubt man ihm das aufs Wort. Aber wen stören schon verdreckte Haarzotteln, die über das halbe Gesicht hängen, wenn darunter der stechende Blick und das unvergleichliche Grinsen eines Sanjay Dutt hervordringen? Sanjay schlüpft mit Haut und Haaren in diese Figur, zeichnet ihren Weg vom Jugendlichen, der angesichts seines ehrlichen, aber armen Vaters Wut auf die Ungerechtigkeit des Systems entwickelt, zudem kein Verständnis bei seinem Vater findet und in die Fänge eines Verbrecherbosses gerät (der genau solche desillusionierten Kinder braucht, um sie für seine Zwecke zu rekrutieren), bis zum Verbrecher und Killer, der jeden Glauben an Liebe und Gefühle verloren hat, bis er Ganga begegnet, durch die er Schritt für Schritt die längst verschüttete Menschlichkeit in sich wiederentdeckt. Weitere Schlüsselerlebnisse mit Ram und seiner Mutter lassen ihn endgültig den nayak im khalnayak aufspüren. Man kann über die Glaubwürdigkeit des Finales streiten, aber Sanjay legt dabei eine derart starke Szene hin, dass mir das, ehrlich gesagt, schnuppe ist. (Und spätestens dann habe ich auch zumindest vorübergehend den grauenvoll kitschigen Anzug vergessen, in den man Sanju für den Tanz "Khalnayak Hoon Main" gesteckt hat und für den ich dem entsprechenden Kostümbildner heute noch die Krätze an den Hals wünsche.)
Bei aller Begeisterung für Sanjus Leistung darf man natürlich seine beiden wichtigsten Co-Stars nicht vergessen. Jackie Shroff ist auf Rollen redlicher bis tougher Gesetzeshüter geradezu abonniert, aber diesmal ist seine Figur nicht ganz so geradlinig - dieser Ram hat auch seine Schwächen und wird im Laufe des Films mehrfach an seine emotionalen Grenzen gejagt. Jackies und Sanjus Chemie bei ihren verbalen und handgreiflichen Auseinandersetzungen ist, nebenbei bemerkt, großartig. Und Madhuri ist endlich einmal nicht nur hübsches Beiwerk zu den männlichen Hauptfiguren, sondern spielt als Ganga einen interessanten und gut durchdachten Charakter, der ebenso eine Entwicklung durchmacht wie Ram und Ballu. Sie sieht phantastisch aus und spielt eindringlich, und dass sie dazu noch ein paar der schönsten Tänze ihrer Karriere hinlegt - von dem entzückenden "Palki Mein Hoke Sawar" bis zu dem fabelhaften Klassiker "Choli Ke Peeche" -, macht den Film noch wertvoller. Ein ewiges Rätsel wird mir allerdings bleiben, wie Madhuri es geschafft hat, so todernst zu bleiben, als Sanju-Ballu mit seinen Kumpeln vor ihren Augen seine eigene Variante von "Choli Ke Peeche" darbot...
Diesen Film muss man gesehen haben. Ohne Wenn und Aber. Als Sanjay-Fan (und auch als Madhuri-Fan) kann und darf man an Khalnayak einfach nicht vorbeigehen.
Produktion und Regie: Subhash Ghai
179 Min.; DVD: Eros, englische UT (Songs nicht untertitelt)
Screenshots
Zusatz-Info: Die Khalnayak-Premiere im August 1993 war eine Benefizveranstaltung für die India AIDS Foundation, verbunden mit einer AIDS-Konferenz am Vortag, beides organisiert von Elizabeth Koshiv, die zuvor viele ähnliche Veranstaltungen zugunsten von Drogensüchtigen arrangiert hatte. Die Unterstützung des "villain" Sanjay dürfte ihr sicher gewesen sein.
Interessant auch die Besetzungsvariante, die Subhash Ghai ursprünglich ins Auge gefasst hatte - Anil Kapoor und Madhuri Dixit als Ram und Ganga gegen Jackie Shroff als Ballu!
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