Samstag, 6. Januar 2007

Saajan (1991)

Zur Story: Der gehbehinderte Waisenjunge Aman freundet sich mit Akash an. Dessen Eltern nehmen Aman in die Familie auf, ziehen ihn liebevoll groß und betrachten ihn wie ihren eigenen Sohn. Doch die seit frühester Kindheit erlittenen seelischen Verletzungen und die Gehbehinderung prägen Aman (Sanjay Dutt). Seinen Schmerz und seine Sehnsüchte schreibt er in Gedichten nieder, die er unter dem Pseudonym Sagar veröffentlicht (da er nicht will, dass seine geliebten Pflegeeltern fälschlicherweise annehmen müssen, schuld an seinen seelischen Leiden zu sein). Ein Fan von Sagars Gedichten ist Pooja (Madhuri Dixit), die mit Sagar in einen regen Briefwechsel tritt. Als Aman eines Tages Pooja kennenlernt und sich in sie verliebt, wagt er es aus Angst vor einer Enttäuschung nicht, ihr zu sagen, dass er der von ihr innig verehrte Sagar ist. Stattdessen erfährt er kurze Zeit später, dass Akash (Salman Khan), den Aman wie einen echten Bruder liebt, sich ebenfalls in Pooja verliebt hat. Aus Dankbarkeit für alles, was er Akashs Freundschaft zu verdanken hat, beschließt Aman, seine Liebe für ihn zu opfern, und rät Akash, sich Pooja gegenüber als Sagar auszugeben, um so ihre Liebe zu gewinnen...

Saajan ist eine BW-typische Dreiecksgeschichte, in der von Anfang an nicht nur klar ist, dass zum Schluss einer zurückstecken muss, sondern auch, wer. Das macht die Story eher unspannend, weil man sich höchstens noch fragt, WIE der Plot am Ende aufgelöst wird. Zumal sich die Geschichte wirklich nur auf die drei Liebenden konzentriert; keine bösen Gegner von außen bringen sie zusätzlich irgendwie in Gefahr. Ohne eine starke Besetzung der drei Hauptrollen würde ein Kammerspiel wie Saajan vermutlich unbeachtet in der Versenkung verschwinden. Nicht jedoch bei dem Liebesdreieck Madhuri, Sanjay und Salman, die den Film knapp drei Stunden lang tragen (für den Modegeschmack der frühen 90er können sie alle drei nichts). Madhuri ist bezaubernd wie eh und je, kommt aber aktionsmäßig über das zwischen den beiden Freunden hin- und hergeschobene Liebesobjekt kaum hinaus – bis auf eine Szene gegen Ende des Films, in der sie beiden Herren mal wohltuend gründlich die Meinung geigt. Salman scheint, wie so oft in seinen frühen Filmen, Quecksilber im Leib zu haben, und als sympathisches Temperamentsbündel und Womanizer ist er ein guter Gegenpol zu dem ruhigen, vernünftigen und in sich gekehrten Sanjay. Womit wir zum unbestrittenen Höhepunkt des Filmes kommen, nämlich Sanjay Dutt, für den Saajan zu einem sensationellen persönlichen Erfolg wurde und ihm die erste Best-Actor-Filmfare-Nominierung seiner Karriere einbrachte.

Wer Sanjay und seine Lebensgeschichte bis 1991 nicht kennt, dem fällt es vielleicht gar nicht auf - aber je öfter ich Saajan sehe, desto erschütterter bin ich darüber, wie tief uns Sanju mit dem stellenweise zu Tränen rührenden Porträt dieses sensiblen Poeten in seine Seele blicken lässt. Wieviel Leid, Verzweiflung und Einsamkeit spiegeln sich in seinen Augen, wenn ihn seine seelischen Schmerzen überwältigen! Aman hat durch seine Gehbehinderung in seinem Leben viel gelitten, er fühlt sich nicht als vollwertiger Mensch und ist entsprechend anfällig gegen Kränkungen durch seine Mitmenschen, seien sie gezielt oder unabsichtlich - so wie er zugleich unendlich dankbar für erwiesene Freundlichkeiten ist (die er niemals als etwas Selbstverständliches betrachtet, weil er glaubt, sie nicht zu verdienen) und auf keinen Fall seine Familie, die ihm so viel Gutes getan hat, kränken möchte. Ähnlich wie mit dem komisch-überdrehten Thanedaar ein Jahr zuvor dürfte Sanjay sein Publikum auch mit dieser Rolle überrascht haben, passt sie doch so gar nicht in das Bild des sowohl im Tanz die Hüften als auch im Kampf die Fäuste schwingenden Helden, den er in dieser Zeit auf der Leinwand bevorzugt gab. Und doch entspricht die Rolle des Aman stärker seiner Persönlichkeit als all die Gangster- und Machorollen, mit denen man ihn heute bevorzugt identifiziert. Warum?

Obwohl Sanjus schlimmste, aus den Mumbaier Unruhen resultierende Lebenskatastrophen damals noch gar nicht aktuell waren, hatte er bis 1991 bereits Höhen und Tiefen er- und überlebt, die in seiner Seele ähnliche Spuren hinterlassen haben dürften wie in der Amans: die sadistische Behandlung in seinem Internat durch Lehrer, die sich nicht nachsagen lassen wollten, den Sohn zweier Berühmtheiten mit Samthandschuhen anzufassen, der frühe Krebstod seiner Mutter, die Krebserkrankung seiner ersten Frau, die ersten Schritte im Filmgeschäft - der sehnliche Wunsch, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen, die überkritische Beäugung des Sohnes von Sunil Dutt und Nargis durch seine Mitwelt und die Kritiker sowie die ständige Angst, Fehler zu machen -, und damit verbunden natürlich seine Drogenphase, die ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte. Damals war Sanju genauso einsam, unsicher und verletzlich wie Aman, diese Erlebnisse seiner Jugend haben ihn ebenso geprägt wie die von ihm mit so unendlich viel Einfühlungsvermögen gezeichnete Filmfigur - oder wer möchte zweifeln, dass Sanjus vielzitierte kindliche Seele bis heute im Grunde verletzlich, unsicher und einsam geblieben ist? Für das Verständnis des Menschen Sanjay Dutt ist Saajan m.E. ebenso wichtig wie Naam, der für die erfolgreiche Überwindung seiner Drogenkrise steht. Wer ein Abbild von Sanjays Seele sehen möchte, der greife zu Saajan – und für Sanjay-Fans ist er ohnehin ein Must-See. Für mich wird er immer einer meiner Lieblingsfilme mit Sanju bleiben.

Produktion: Sudhakar Bokade; Regie: Lawrence D’Souza
173 Min.; DVD: Eros, englische UT (Songs nicht untertitelt)
Screenshots
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