Sonntag, 7. Januar 2007

Sarphira (1992)

Zur Story: Richter D.K. Sinha (Shreeram Lagoo) hat einen Mörder zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, woraufhin dessen verzweifelte Frau sich vergiftet und sterbend ihr Baby Rajkishan dem Richter und seiner Frau (Sushma Seth) anvertraut. Sie nehmen den Jungen zu sich; bald darauf bekommen sie zudem zwei leibliche Söhne, Suresh und Deepak. Während Raju (Vinod Mehra) und Deepak (Sumeet Saigal) zu aufrichtigen jungen Männern heranwachsen – Raju wird Anwalt, Deepak Police Inspector –, wird Suresh (Sanjay Dutt), von Kindheit an von seiner Mutter stets bevorzugt, zu einer Enttäuschung für seinen Vater: Er ist aufsässig, neigt zu Gewalttätigkeiten und schert sich nicht um Konventionen; so bekennt er z.B. ohne Bedenken seine Liebe zu der Tänzerin Prema (Madhavi), da sie nur deshalb in dem Nachtclub von Balli Seth (Anupam Kher) arbeitet, um ihre jüngere Schwester Neetu (Kimi Katkar) durchzubringen (die ihrerseits mit Deepak liiert ist). Als er während einer Auseinandersetzung wegen Falschspiels unabsichtlich den Sohn des Nachtclub-Besitzers, Rocky (Shakti Kapoor), tötet, lässt sich Suresh, um einer Anzeige zu entgehen und seine Familie herauszuhalten, auf eine Erpressung durch Balli Seth ein. Um ihm das geforderte Schweigegeld zu zahlen, beginnt Suresh zu stehlen und wird so in den Augen seines unerbittlichen Vaters endgültig zum verachtenswerten Kriminellen. Als er Suresh offiziell enterbt, verlässt dieser voll Zorn das Haus und bricht in seiner Verbitterung sogar mit Prema, ohne zu ahnen, dass auch ihr Leben in Trümmern liegt – und welche Rolle Balli Seth in der ganzen Angelegenheit wirklich spielt...

Für Sarphira (= nicht bei Sinnen) gilt das Gleiche wie für Adharm: Er entstand parallel zu etwa einem Dutzend weiterer Sanjay-Filme und zog sich dabei ebenso über mehrere Jahre hin. Sanjus Frisürchen-wechsel-dich-Spiel ist diesmal teilweise gottvoll wie selten - vor allem in einer Prügelszene gegen Ende, wo der Schnitt buchstäblich mit jedem Schnitt hin- und herwechselt, oder wenn Sanju mit Vokuhila vom Balkon springt und mit Kurzhaarfrisur auf der Straße landet. Aber offenbar hat so etwas weder die Macher noch das Publikum sonderlich gestört. Und das Wohl und Wehe eines Filmes hängt ja letzten Endes auch nicht von solchen Haarfaktoren ab, sondern davon, wie eine Geschichte erzählt und vermittelt wird. In punkto Stringenz kommt Sarphira nicht ganz an Adharm heran, er wirkt teilweise doch ziemlich wild zusammengestückelt. Das fällt vor allem an der Figur des Deepak auf, bei der man sich bisweilen fragt, ob sie nicht nachträglich noch in die Story hineingeschrieben wurde, um zusammen mit Neetu für einen Schuss jugendlicher Spritzigkeit und Romantik zu sorgen (bevor zumindest sie sang- und klanglos in der Versenkung verschwindet), den das Hauptpaar Prema und Suresh nur ansatzweise bieten konnte, da ihre Rollen mehr für die Dramatik des Filmes zuständig waren. Und damit sind wir bei dem eindeutigen Vorteil von Sarphira gegenüber Adharm: Er erzählt die entschieden bessere und spannendere Geschichte mit den interessanteren Figuren.

„Mutterliebe ist wie Nektar für ein Kind, doch ist diese Liebe blind, wird sie zum Gift“ konstatiert Richter Sinha angesichts seines von seiner Mutter verwöhnten und in seinen Augen nutzlosen Sohnes Suresh. Das mag zwar stimmen, aber damit macht der Vater es sich zu leicht. Er muss sich schon selber auch an die Nase fassen, denn woher kommt es denn, dass Suresh sich unverstanden fühlt? Selbst Raju, dem ich es glaube, wenn er sagt, dass er Suresh liebt, pocht im Ernstfall eisern auf Prestige und Konventionen. Keiner versucht auch nur ansatzweise, ihn zu verstehen, keiner akzeptiert, dass Suresh ein Freigeist ist. Das macht ihn natürlich zu keinem Unschuldsengel, aber eben auch nicht automatisch zu einem Kriminellen. Sureshs Herz ist in Ordnung, er gibt seine Fehler zu, wenn er welche macht, und die Gesellschaft, in der er sich rumtreibt, mag nicht die beste sein, aber diese Leute können sich auf Suresh 100%ig verlassen. In gewisser Weise erinnert mich diese Rolle - auch wenn die Stories natürlich grundverschieden sind - vom Charakter her oft verblüffend an James Deans Cal in East of Eden: rebellisch, gegen die Konventionen und dabei mit in einer wahnsinnigen inneren Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung - und sehr verletzlich...

Kurz: eine Rolle wie gespuckt für Sanju, und er bleibt ihr auch nichts schuldig; Zorn, Verzweiflung, Rebellion, Liebe, Verbitterung, Reue – alles kein Problem für ihn. (Dass er sich in einer Szene im Radio seinen eigenen Song „Mera Dil Phi“ aus Saajan anhört, ist ein netter Insidergag.) Eine starke Leistung bietet auch Madhavi, die ein eindringliches Porträt der vom Schicksal gebeutelten Prema zeichnet und bei derem Sado-Maso-Tanz im Nachtclub einem kurzzeitig schon mal das Herz stehen bleiben kann. Schade, dass der Schluss so verschenkt wurde - da hätten so viele Menschen so viel untereinander aufzuarbeiten, und mit einer fast flüchtigen Umarmung ist alles abgetan? Was allein Suresh nicht nur mit seinem Vater, sondern auch noch mit einigen anderen Menschen seiner Umgebung wieder einrenken müsste (vor allem bei einem ist sein distanziertes Verhalten absolut unerklärlich)... aber das bleibt nun eben unserer weiterspinnenden Phantasie überlassen. Dazu jedoch muss man den Film natürlich vorher gesehen haben, und ja, ich kann empfehlen, das zu tun.

Produktion: B.L. Khaitan; Regie: Ashok Gaikwad
150 Min.; DVD: Baba, englische UT (Songs nicht untertitelt), sie bleiben selten so lange stehen, wie auch gesprochen wird, was etwas irritierend wirkt, zudem kommen sie oft nach dem Zufallsprinzip; schlechte Bildqualität
Haarfaktor

P.S. Vinod Mehra, der Darsteller des Raju, starb während der Dreharbeiten 1990 mit nur 45 Jahren an einem Herzinfarkt. Auch dieser unerwartete Tod eines der Hauptdarsteller dürfte zu den Continuity-Problemen von Sarphira beigetragen haben.

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